Wirtschafts- und Vermögensentwicklung
Aufschwung von Handel und Gewerbe führten seit dem 14. Jahrhundert zum Anwachsen der Vermögen wirtschaftlicher erfolgreicher Familien.
Wie in jeder spätmittelalterlichen Stadt gehörte auch in Bern der Besitz von Geld- und Sachwerten zu den Grundvoraussetzungen, um zu Ansehen und politischem Einfluss zu gelangen.[1] Obwohl Reichtum allein den Zugang zu den Ratsgremien nicht garantierte, konnten nur wohlhabende und wirtschaftlich abkömmliche Männer über einen längeren Zeitraum wichtige politische Ämter (Ratsämter und Behörden) ausüben und sich an täglichen Ratsgeschäften beteiligen. Ähnlich der Entwicklung in anderen Städten im Reich führte der Aufschwung von Handel und Gewerbe auch in Bern dazu, dass die Vermögen wirtschaftlich erfolgreicher Familien seit dem 14. Jahrhundert deutlich zunahmen (Vermögensentwicklung seit 1389). Indem die sozial aufsteigenden Familien die ritterliche Lebensweise der grundbesitzenden Adelsgeschlechter imitierten, manifestierten sie zugleich ihren Anspruch auf die Besetzung der politisch wichtigsten Ratsämter wie auf jenes des Schultheissen (Schultheiss und Rat).[2] Zwischen den regierenden Adels- und Notabelngeschlechtern und den in Zünften (Zünfte und Gesellschaften) organisierten Handwerksmeistern (Handwerk und Gewerbe) und Kaufleuten (Kaufmannschaft und Handel) kam es deshalb zu langwierigen Auseinandersetzungen um die Teilhabe am städtischen Regiment (Etablierung der Ratsherrschaft). Deutlich manifestieren sich diese Austausch- und Ausgleichsbewegungen unter den führenden Familien in innerstädtischen Unruhen von 1350, 1364, 1368 und 1384 sowie in den wiederholten Versuchen der Zünfte, die Amtszeit der Schultheissen und der wichtigsten städtischen Behörden wie Säckelmeister (Säckelmeister), Venner (Venner) und Landvögte (Landvögte und Tschachtlane) auf ein Jahr zu beschränken.
Wachsende Steuerbelastung führt zu Unruhen
Die Ursache dieser innerstädtischen Auseinandersetzungen war – ähnlich der Entwicklung in anderen Städten im Reich – die von den regierenden Ratsgeschlechtern betriebene Darlehens- und Steuerpolitik (Sanierung der Stadtfinanzen im 15. Jahrhundert). In Bern führte vor allem das expansive Ausgreifen auf die Landschaft seit der Mitte des 14. Jahrhunderts (Entstehung des städtischen Territoriums) zu einer Überbeanspruchung des kommunalen Finanzhaushalts und zu einer Polarisierung der im Rat der Zweihundert (Rat der Zweihundert) vertretenen sozialen Gruppen. Obwohl es bernischen Zünften im Unterschied zu jenen in so genannten Zunftstädten wie Zürich oder Basel nicht gelang, eine in der Stadtverfassung festgelegte Beteiligung an den Ratswahlen zu erhalten, bildeten die ökonomisch führenden Gesellschaften seit der Ratsentsetzung von 1384 (Ratsentsetzung von 1384) die Rekrutierungsbasis für alle wichtigen Ratsämter (Politische Bedeutung der Zünfte). Die Handwerkszünfte der Metzger, Gerber, Schmiede und Bäcker (Pfister) entwickelten sich auf diese Weise zu den vier Vennergesellschaften (Vennergesellschaften und Vennerviertel). Diesen kam seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert eine verfassungsrechtliche Sonderstellung innerhalb der Stadt zu.
Aufblühender Fernhandel zwischen Oberdeutschland und Mittelmeergebiet
Der Vermögenszuwachs der ökonomisch führenden Familien hatte seine Ursache im Aufschwung von Handel und Gewerbe im oberdeutschen Wirtschaftsraum seit der Mitte des 14. Jahrhunderts.[3] Vor allem das Aufblühen der Fernhandelsmessen in Genf, die von der Verlagerung der Handelsrouten von der Champagne an den Rhein profitierten, führte zu einem Anwachsen der Warenströme im Gebiet zwischen Alpen und Jura.[4] Sowohl die in der Stadt ansässigen Kaufleute als auch Handwerksmeister profitierten vom steigenden Handelsverkehr zwischen Nord und Süd sowie zwischen den aufstrebenden Märkten Ostmitteleuropas und den Hafenstädten am westlichen Mittelmeer, indem sie in der Stadt hergestellte Gewerbeerzeugnisse wie vor allem Leder, aber auch weitere Handelsgüter wie Tuche, Felle, Wachs, Metallwaren und Gewürze auf internationalen Warenmessen zum Verkauf anboten. Daneben begünstigte die Ausdehnung des städtischen Einflussbereichs auf die wichtigen Handelsstrassen am Jurasüdfuss und in den Aargau (Markt- und Verkehrszölle), dass Kaufleute ihr bisheriges Tätigkeitsfeld über den näheren Marktbereich (Märkte) hinaus erweiterten und international tätige Handelsunternehmungen (Diesbach-Watt-Gesellschaft) gründeten.[6] Dazu knüpften sie Geschäftsbeziehungen zu auswärtigen Partnern entlang der Fernhandelsrouten von Barcelona über Genua und Nürnberg bis nach Prag oder Krakau. Ausdruck dieses wirtschaftlichen Aufbruchs war zum einen der Bau des städtischen Kauf- und Zollhauses (Kauf- und Zollhaus) an der nördlichen Kramgasse um 1373. Dieser folgte auf die Verleihung des Geleitsrechts (Geleitszoll) durch Kaiser Karl IV. im Jahr 1365. Zum anderen wurden 1439 zwei neue Jahrmärkte eröffnet (Jahrmarkt).[7]
Handelsgewinne begünstigen sozialen Aufstieg
Als Folge des Wirtschaftswachstums veränderten sich auch die sozialen Verhältnisse in Bern im Verlauf des 15. Jahrhunderts.[8] Deutlich manifestierte sich dieser soziale Wandel in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, als neben den bestehenden Handwerksgesellschaften mit Mittellöwen (Mittellöwen) und Kaufleuten (Kaufleutengesellschaft) zwei neue Handelszünfte gegründet wurden, deren Mitglieder sich vornehmlich aus Kreisen wohlhabender Kaufleute rekrutierten.[9] Die alteingesessenen, politisch einflussreichen Adels- und Notabelngeschlechter, deren Ansehen und Vermögen auf dem Besitz von Grund- und Gerichtsherrschaften auf dem Land gründeten, wurden auf diese Weise zunehmend von einer Gruppe aufstrebender Bürger konkurriert, deren neu erworbener Reichtum auf ihrer Tätigkeit im Fern- und Geldhandel beruhte (Wirtschaftliche Aufsteiger). Während jedoch dem Güterverkehr in Bern im Unterschied zu anderen Städten im Reich kaum Beschränkungen unterlag, verloren die Handwerksmeister, die keinem Handelsgeschäft nachgingen und deshalb über keine grösseren Vermögen verfügten, innerhalb der Zünfte und Ratsgremien immer mehr an Einfluss. Ihre Berufsausübung wurde zunehmend reglementiert und bis zum Ende des Mittelalters der strikten Aufsicht von Schultheiss und Rat unterworfen.
Roland Gerber, 26.06.2023
[1] Hellmuth Rössler (Hg.): Deutsches Patriziat 1430-1740 (Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 3), Limburg/Lahn 1968; Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 245-269; sowie für die Schweiz Werner Schnyder: Soziale Schichtung und Grundlagen der Vermögensbildung in den spätmittelalterlichen Städten der Eidgenossenschaft, in: Festschrift Karl Schib, Schaffhausen 1968, S. 230-245.
[2] Vgl. dazu auch Ulrich Gähler: Ritterliche Lebensformen im städtischen Patriziat der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft, in: Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 52, Zürich 1979, S. 33-44.
[3] Hermann Kellenbenz: Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, München 1977; sowie Wolfgang von Stromer: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 55-57), Wiesbaden 1970. Für die Schweiz vgl. Hektor Ammann: Das schweizerische Städtewesen des Mittelalters in seiner wirtschaftlichen und sozialen Ausprägung, in: Receuils de la Société Jean Bodin 7, la ville, Teil 2, Brüssel 1955, S. 483-529; sowie Hans Conrad Peyer: Wollgewerbe, Viehzucht und Bevölkerungsentwicklung in Stadt und Landschaft Freiburg im Uechtland vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Könige, Stadt und Kapital, hg. von Hans Conrad Peyer, Zürich 1982, S. 163-182.
[4] Zum Handel zwischen Oberdeutschland und Italien während des Spätmittelalters vgl. auch die grundlegende Arbeit von Aloys Schulte: Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluss von Venedig, 2 Bde., Leipzig 1900.
[5] Hektor Ammann: Die Zurzacher Messen im Mittelalter, in: Taschenbuch der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau (1923), S. 1-155; ders., Freiburg und Bern und die Genfer Messen, Zürich 1921; sowie Michael Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter (Frankfurter historische Abhandlungen 40), Stuttgart 1998.
[6] Hektor Ammann: Die Diesbach-Watt-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte des 15. Jahrhunderts (Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte 37, Heft 1), St. Gallen 1928.
[7] SSRQ Bern Stadt II/2, Nr. 214, S. 150f.; sowie SSRQ Bern Stadt III, Nr. 80g, S. 196.
[8] Urs Martin Zahnd: »... aller Wällt Figur...». Die bernische Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters im Spiegel von Niklaus Manuels Totentanz, in: BGZ, S. 119-139. Zu den sozialen Verhältnissen Oberdeutscher und Schweizer Städte im 14. und 15. Jahrhundert vgl. auch Erich Maschke: Verfassung und soziale Kräfte in der deutschen Stadt des späten Mittelalters, vornehmlich in Oberdeutschland, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 46 (1959), S. 289-349 und 433-476.
[9] Die Gesellschaft zum Mittel- oder Roten Löwen war eine Gerberzunft. Sie wurde wegen der Lage ihres Gesellschaftshauses zwischen den bereits bestehenden Gerberstuben am Gerberngraben (Obergerbern) und an der Gerechtigkeitsgasse (Niedergerbern) die mittlere Gerberstube oder Mittellöwen genannt; Urs Martin Zahnd: Die Berner Zunft zum Mittellöwen im Spätmittelalter (Geschichte der Berner Zunft zu Mittellöwen 1), Bern 1984, S. 43-50.