Weltliche und geistliche Gerichtsherren
Die Aufnahme weltlicher und geistlicher Herren ins städtische Bürgerrecht bildete für den Rat ein wichtiges Mittel, seinen Herrschaftsbereich auf die benachbarte Landschaft auszudehnen.
Die Aufnahme adliger und geistlicher Gerichtsherren ins kommunale Ausbürgerrecht war für den Rat während des Spätmittelalters ein wichtiges Mittel, um politischen Einfluss auf die Landschaft auszuüben (Politische Bedeutung der Ausbürgeraufnahmen). Zweck solcher Ausbürgeraufnahmen war es, ländliche Herrschaftsträger vertraglich (Gedingbürger) dazu zu verpflichten, Frieden zu wahren und gegenüber der Stadt und ihren Verbündeten auf Gewalt zu verzichten. Mit der Verleihung des Bürgerrechts (Aufnahme ins Bürgerrecht) an Adlige und Kleriker versuchte der Rat, auswärtige Herren an das innerhalb der Stadtmauern geltende Friedensgebot (Stadtrecht) zu binden. Die Burgrechtsverträge verfolgten damit einen ähnlichen Zweck wie die zahlreichen Bündnisse, Landfrieden und Schirmverträge, die Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) seit der Mitte des 13. Jahrhunderts mit Stadtgemeinden, Klöstern und Landesherren der Umgebung abschlossen (Herrschaftsbildung auf dem Land 1298 bis 1415). Im Unterschied zu Bündnissen und Landfrieden, die zwischen rechtlich gleichgestellten Partnern ausgehandelt wurden, begründeten die Burgrechtsverträge in der Regel eine mehr oder weniger starke Unterordnung der Ausbürger (Ausbürger) unter die ratsherrliche Gebotsgewalt. Damit Unterschied sich Bern von anderen Städten des Reiches, in denen Ausbürgeraufnahmen nur eine geringe politische Bedeutung zukamen. Während es Solothurn, Freiburg, Luzern und Zürich verstanden, eine aktive Burgrechtspolitik zu betreiben, wurden andere Städte wie Frankfurt, Augsburg oder Konstanz nach der militärischen Niederlage gegen den Adel im Ersten Städtekrieg von 1388 gezwungen, weitgehend auf die Einbürgerung von Ausbürgern zu verzichten.[1]
Zwangsburgrechte feindlich gesinnter Adliger
Den konkreten Anlass für den Erwerb des Bürgerrechts bildeten oftmals militärische Auseinandersetzungen.[2] Um das eigene Herrschaftsgebiet vor Zerstörungen zu schützen, sahen sich adlige Gerichtsherren dazu genötigt, sich unter den Schutz der Stadt zu stellen (Übernahme landgräflicher Rechte).[3] Seit dem 13. Jahrhundert setzte der Rat Burgrechtsverleihungen zudem als Repressalie gegen Adlige ein, deren Burgen er zerstört hatte und deren Loyalität er sich zu sichern suchte. Bei Burgrechtsverträgen interessierten neben der strikten Durchsetzung des kommunalen Friedensgebots auf dem Land vor allem der militärische Zuzug bei kriegerischen Auseinandersetzungen sowie die Unterwerfung der in den weltlichen und geistlichen Gerichtsherrschaften ansässigen Eigen- und Lehensleute unter die städtische Steuerhoheit.
Geistliche Niederlassungen bezahlen seit 1444 ebenfalls Vermögenssteuern
Im Vergleich zu adligen Gerichtsherren erfuhren geistliche Niederlassungen, die in Bern eigene Stadthöfe (Stadthäuser auswärtiger Klöster) besassen, günstigere Bedingungen als Vertragspartner. Vor allem Klöster, die wie die Augustinerchorherren in Interlaken, die Cluniazenser in Rüeggisberg oder die Zisterzienser in Frienisberg bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts das bernische Burgrecht erworben hatten, genossen besondere Vergünstigungen. Obwohl geistliche Korporationen aufgrund ihrer vom Papst verliehenen Privilegien eigentlich nicht hätten besteuert werden dürfen, mussten sie spätestens seit 1444, als Bern wegen der Teilnahme am Alten Zürichkrieg besonders hohe Ausgaben entstanden, eine Steuer an die Venner (Venner) entrichten.[4] Allein die Zisterzienserinnen von Fraubrunnen und die Prämonstratenser von Gottstatt bezahlten zusammen einen Steuerbetrag von 168 Gulden in den Stadtsäckel (Säckelmeister).[5] Weitere Steuereinkünfte bezogen die Tellherren (Tellherren) mit 20 Gulden vom Probst des Inselklosters sowie mit 76 Gulden von den Dekanen in Wynau, Burgdorf, Münsingen und Büren an der Aare. 1485 nahm der Rat das neu gegründete weltliche Chorherrenstift von St. Vinzenz (Pfarrkirche von St. Vinzenz) schliesslich aus eigener Machtvollkommenheit in unser ewig burgrecht, schutz und schirm auf.[6] Den Chorherren gewährte er für die Nutzung ihrer Pfründen Steuerfreiheit, während sie ihre weltlichen Besitzungen zu versteuern hatten.[7]
Roland Gerber, 14.07.2018
[1] Adolf Gasser: Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, Aarau/Leipzig 1930, S. 386-391; J. Zorn: Bündnisverträge der Stadt Frankfurt am Main mit dem Adel der Umgebung im 14. und 15. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1966; sowie H.J. Domsta: Die Kölner Aussenbürger. Untersuchungen zur Politik und Verfassung der Stadt Köln von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Bonn 1973.
[2] Dorothea A Christ: Hochadelige Eidgenossen. Grafen und Herren im Burgrecht eidgenössischer Orte, in: Neubürger im späten Mittelalter, hg. von Rainer C. Schwinges (Beiheft der Zeitschrift für Historische Forschung 30), Berlin 2002, S. 99-123.
[3] Der Konstanzer Chronist Christoph Schultheiss stellt in seiner im 15. Jahrhundert angelegten Stadtchronik mit stolz fest, welch gotzhus oder edelman sicher wolte sin, der müsst burger in ainer statt sin; Bernhard Kirchgässner: Das Steuerwesen der Reichsstadt Konstanz 1418-1460. Aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer oberdeutschen Handelsstadt am Ausgang des Mittelalters (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, N.F. 10), Konstanz 1960, S. 98.
[4] Zur Besteuerung von Klerikern vgl. Eugen Mack: Die kirchliche Steuerfreiheit in Deutschland seit der Dekretalengesetzgebung (Kirchenrechtliche Abhandlungen 88), Stuttgart 1916; Bernd Moeller: Kleriker als Bürger, in: Die Reformation und das Mittelalter, hg. von Bernd Moeller (Kirchenhistorische Aufsätze), Göttingen 1991, S. 195-198; sowie für die Schweiz Guy P. Marchal: Die Dom- und Kollegiatstifte der Schweiz. Einleitung, in: Die weltlichen Kollegiatstifte der deutsch- und französischsprachigen Schweiz (Helvetia Sacra, Abt. 2, Teil 2), Bern 1977.
[5] Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1430-1452, Bern 1904, hier Stadtrechnungen 1445/II, S. 192f.
[6] Im Jahr 1613 beschloss der Rat, dass sämtliche in der Stadt ansässigen Kleriker das Bürgerrecht zu erwerben hatten; SSRQ Bern V, S. 233; sowie Bernd Moeller: Kleriker als Bürger, in: Die Reformation und das Mittelalter, hg. von Bernd Moeller (Kirchenhistorische Aufsätze), Göttingen 1991, S. 222.
[7] SSRQ Bern V, S. 158-160.