Pogrom von 1293
Im Jahr 1293 kam es zur ersten dokumentierten Vertreibung von Juden aus der Stadt Bern.
Nach der Ermordung eines christlichen Knaben, dessen Tod einem an der südlichen Gerechtigkeitsgasse wohnenden jüdischen Geldhändler (Geldhändler und Wechsler) namens Jöly (Joel) angelastet wurde, entlud sich die angestaute Wut 1293 in einem Pogrom gegen die in Bern wohnenden Juden (Juden).[1] Unter Druck der wahrscheinlich spontan versammelten Bürger beschloss der Rat, die des Kindermords bezichtigten Juden hinzurichten und die übrigen für eine unbestimmte Zeit aus der Stadt zu weisen.[2] Des Weiteren zerstörte eine aufgebrachte Menge den Judenfriedhof in der Inneren Neustadt (Innere Neustadt) und verwendeten die jüdischen Grabsteine als Baumaterial für Häuser und Kirchen.[3] Nach Konrad Justinger habe die Bürgerschaft in dieser Zeit sogar eine spezielle Satzung erlassen, die bestimmte, daz kein jude niemerme gan Bern komen sollte.[4] Dank der Vermittlung des königlichen Statthalters im Elsass und in Burgund konnten die Aggressionen im Juni 1294 schliesslich insoweit geschlichtet werden, als die jüdische Gemeinde der Stadt 1’000 Mark und dem Schultheissen weitere 500 Mark Silber Bussgeld bezahlen musste. Zugleich hatten Juden sämtliche Schuldbriefe herauszugeben, deren Forderungen dadurch vri, lidig und lere gesprochen wurden.[5] Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts scheinen daraufhin nur noch vereinzelte jüdischen Geldwechsler in Bern ansässig gewesen zu sein.[6]
Roland Gerber, 14.07.2018
[1] Für Konrad Justinger, der den angeblichen jüdischen Kindermord fälschlicherweise ins Jahr 1288 verlegt, ist das gewalttätige Vorgehen der Bürger gegen die in der Stadt ansässigen Juden einer der Beweggründe, die Rudolf von Habsburg zu seinem Angriff gegen die Stadt Bern veranlasste; Gottlieb Studer (Hg.): Die Berner Chronik des Conrad Justinger, Bern 1871, Nr. 50 und 51, S. 30f.
[2] Gottlieb Studer: Zur Geschichte des Inselklosters, in: Archiv des Historischen Vereins 4 (1858-60), S. 1-48 (Heft 1) und 1-56 (Heft 2), S. 38f.
[3] 1888 kam beim Abbruch des Inselspitals das Bruchstück eines jüdischen Grabsteins zum Vorschein, der einem Juden namens Efraim gehört hatte und der im Jahre 1293 gestorben war; Gustav Tobler: Zur Geschichte der Juden im alten Bern bis 1427, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 12 (1889), S. 336-367, hier 346, Anm. 1.
[4] Gottlieb Studer (Hg.): Die Berner Chronik des Conrad Justinger, Bern 1871, Nr. 49, S. 29f.
[5] FRB/3, Nr. 595 (30. Juni 1294).
[6] Vgl. dazu Hans-Jörg Gilomen: Aufnahme und Vertreibung von Juden in Schweizer Städten im Spätmittelalter, in: Migration in die Städte. Ausschluss – Assimilierung – Integration – Multikulturalität, hg. von Hans-Jörg Gilomen, Anne-Lise Head-König und Anne Radeff (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), Zürich 2000, S. 93-118.