Verschriftlichung der Finanzverwaltung
In grossformatigen Amtsbüchern verschafften sich die städtischen Rechnungsherren einen Überblick über die Stadtfinanzen.
Einen massgeblichen Ausbau erfuhr die Kanzlei (Stadtschreiber und Kanzlei) im Zusammenhang mit der expansiven Erwerbspolitik und der Liquidation der Herrschaftsrechte der Grafen von Kiburg in der Landgrafschaft Burgund gegen Ende des 14. Jahrhunderts (Schuldenpolitik des Ras am Ende des 14. Jahrhunderts). Allein der Erwerb der beiden kiburgischen Gerichtsherrschaften Burgdorf (Burgdorf) und Thun (Thun) kostete bis zum April 1384 über 50’000 Gulden, die nur durch die Aufnahme auswärtiger Kredite vor allem auf dem Basler Finanzmarkt bezahlt werden konnten.[1] Dem Stadthaushalt entstanden dadurch jährliche Zinszahlungen zwischen 4’000 und 5’000 Gulden, die bei mittleren Jahreseinnahmen von rund 5’600 Gulden natürlich eine ausserordentliche Belastung darstellten. Um die drohende Insolvenz zu verhindern, war der Rat gezwungen, den kommunalen Finanzhaushalt zu reformieren und auf eine neue schriftliche Grundlage zu stellen. In der Kanzlei entstanden deshalb nach 1389 erstmals über hundert Seiten umfassende Amtsbücher, in denen sich die städtischen Rechnungsherren einen Überblick über die Stadtfinanzen verschafften.
Rechnungs-, Steuer- und Schuldenbücher
Nachdem der Säckelmeister (Säckelmeister) bereits vor 1375 begonnen hatte, Einnahmen und Ausgaben in einer halbjährlich geführten Rechnung, der Säckelmeisterrechnung, zusammenzustellen, kam es zwischen 1389 und 1397 zur systematischen Erfassung der steuer- und wehrpflichtigen Bürger in Stadt und Land (Tellbuch von 1389) sowie zur Anlage spezieller Schuldenbücher, in denen die jährlich zu leistenden Schuldzinse an auswärtige Gläubiger vermerkt wurden.[2] Nach 1391 begann der Rat ausserdem, die Abrechnungstätigkeit der stetig wachsenden Zahl von Amt- und Dienstleuten (Ratsämter und Behörden) inner- und ausserhalb der Stadt schriftlich zu kontrollieren und deren Überschüsse und Forderungen (Restanzen) jährlich in einem zentralen Buch festzuhalten.[3] Im Zusammenhang mit der Niederschrift der ersten grossen Amtsbücher kam es zu einem grundlegenden Wandel der städtischen Schreibkultur. Anstelle loser Zettel und Rödel, auf denen die Stadtschreiber bislang wichtige Informationen über die Verwaltungstätigkeit notiert hatten, traten nun aus mehreren Papier- oder Pergamentlagen zusammengebundene Bücher, deren Verwendungszweck bereits bei deren Anlage durch reinschriftliche Einträge, Gliederungsvermerke und leere Stellen für Nachträge vorgegeben wurde.[4] Nachfolgende Schreiber erhielten dadurch die Möglichkeit, Eintragungen systematisch zu ergänzen und je nach Bedarf zu aktualisieren. Zugleich wurde Verwaltungshandeln über einen längeren Zeitraum nachvollziehbar und konnte von den zuständigen Ratsherren periodisch überprüft werden.
Aus temporären Schreibern werden festangestellte Unterschreiber der Kanzlei
Die Anlage der grossformatigen Amtsbücher, aber auch die Verschriftlichung der neu erworbenen Herrschaftsrechte auf dem Land waren mit einem vermehrten Schreibaufwand verbunden. Allein für den Erwerb der beiden kiburgischen Herrschaften Burgdorf und Thun verzeichnet die Säckelmeisterrechnung von 1384 folgende Schreibarbeiten: Denne umbe die briefe ze schreiben den schribern umb den bunde des grafen von Savoy und umb die richtung brief des grafen von Kiburg und umb den koufbrief Thun und Burgdorf und umb briefe, als man die von Lutzern, Zürich, Switz, Underwalden von Thun vor schaden sol behüten und umb der gefangen briefe und umb ander briefe vil, und umb berment [Pergament] und bappire umb das alles ze schriben [...] 14 Pfund 19 Schillinge.[5] Diesen ausserordentlichen Mehraufwand konnte der Rat nur durch die Berufung zusätzlicher Schreiber bewältigen. Obwohl diese Schreiber anfänglich in einem befristeten Anstellungsverhältnis zur Stadt standen, führten deren Tätigkeiten langfristig zu einem Ausbau des Personalbestands der Kanzlei auf mehrere Unterschreiber sowie zu einer Spezialisierung ihrer Aufgaben. Bereits 1375 nennen die Säckelmeisterrechnungen nicht weniger als neun Schreiber, die für ihre Arbeit bei der schriftlichen Erfassung der in Stadt und Landschaft erhobenen Vermögenssteuern aus der Stadtkasse entlohnt wurden.[6] Zu diesen gehörten neben dem Gerichtsschreiber Johannes von Wichtrach (1373-1415) und Peter Scherer, der zwischen 1375 und 1383 zusammen mit Peter von Meikirch die Böspfennigrechnungen[7] verfasste, auch die Gelegenheitsschreiber Johannes Sumiswald[8] und Johannes von Liebewil[9]. Als weitere Schreiber nennen die Quellen Gebhard von Rüespach (1383-1401), Oswald von Basel (1389), Johannes von Kiental (Stadtschreiber 1393/94) und Konrad Justinger (Stadtschreiber 1400). Nur für Gebhard von Rüespach und Konrad Justinger lässt sich jedoch mit Sicherheit nachweisen, dass sie für die Kanzlei einzelne Urkunden und Zinsquittungen verfassten.[10] Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung dürfte der spätere Chronist Konrad Justinger aber weder als Autor der ersten grösseren bernischen Amtsbücher noch als Initiator der Kanzleireform Ende des 14. Jahrhunderts gelten.[11] Vielmehr ist davon auszugehen, dass Gebhard von Rüespach das Udelbuch von 1389 anlegte, dessen Handschrift in Urkunden eine grosse Ähnlichkeit mit jener des Verfassers des Udelbuchs aufweist.[12] Bestätigt wird diese Vermutung nicht zuletzt auch dadurch, dass Gerhard von Rüespach bereits 1384 nachweislich diverse Schreibarbeiten für die vier Venner (Venner) und damit für jene Ratsbehörde durchführte, die 1389 für die Niederschrift der Udel- und Steuerbücher verantwortlich war.[13] 1393 wird mit Heinrich Gruber zudem erstmals ein spezieller Unterschreiber in einer Urkunde genannt.[14]
Roland Gerber, 21.07.2018
[1] Hans-Jörg Gilomen: Die städtische Schuld Berns und der Basler Rentenmarkt im 15. Jahrhundert. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 82 (1982), S. 5-64.
[2] Rödel über die jährlichen Passivschulden Berns 1397-1399, Staatsarchiv Bern, B VII 2310. Die ältesten überlieferten Steuerbücher sind ediert in Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Tellbücher der Stadt Bern aus dem Jahre 1389, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 14 (1896), S. 505-704.
[3] Der erste Eintrag im Rechnungsbuch A stammt aus dem Jahr 1391. Die ordentliche Buchführung begann jedoch erst 1393. Überliefert sind Restanzenrechnung A von 1393 bis 1418 und Restanzenrechnung D von 1454 bis 1463 im Stadtarchiv Bern (SAB_A_10_1 und SAB_A_10_2); Restanzenrechnung C von 1435 bis 1454 in der Burgerbibliothek Bern (Mss.Hist.Helv.IV.2); sowie Restanzenrechnung E von 1463 bis 1475 im Staatsarchiv Bern (B VII 2522).
[4] Vgl. dazu Andreas Petter: Schriftorganisation, Kulturtransfer und Überformung – drei Gesichtspunkte zur Entstehung, Funktion und Struktur städtischer Amtsbuchüberlieferung aus dem Mittelalter, in: Verwaltung und Schriftlichkeit in den Hansestädten, hg. von Jürgen Sarnowsky (Hansische Studien 16). Trier 2006, S. 17-63.
[5] Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384, Bern 1896, hier Stadtrechnung 1384/I, S. 323.
[6] Ebda., Stadtrechnung 1375/II, S. 12.
[7] Der Böspfennig war eine auf die in Bern eingekellerten Weinfässer erhobene Verbrauchs- oder Konsumsteuer. Ursprünglich vom Rat nur unregelmässig zur Finanzierung ausserordentlicher Aufwendungen eingefordert, wandelte er diesen nach dem Kauf der Herrschaft Thun 1375 – gegen den Widerstand der Handwerksmeister – zu einer ordentlichen Steuer um.
[8] FRB/8, Nr. 1508, S. 605 (23. Jan. 1365).
[9] FRB/8, Nr. 1408, S. 556f. (15. April 1364); FRB/9, Nr. 588, S. 290 (16. März 1372), Nr. 677, S. 316 (7. Januar 1373) und Nr. 703, S. 327 (15. März 1373); sowie FRB/10, Nr. 193, S. 91 (24. November 1380).
[10] Zum Beispiel FRB/10, Nr. 375f., S. 802f. (4. Mai 1386); sowie Staatsarchiv Bern, Urkunde Fach Zinsquittungen vom 12. Januar 1394.
[11] Zu diesem Befund kommt Kathrin Jost anhand eines systematischen Vergleiches der in den Säckelmeisterrechnungen, den Tellbüchern und im Udelbuch überlieferten Handschriften; Kathrin Jost: Konrad Justinger (ca. 1365-1438). Chronist und Finanzmann in Berns grosser Zeit (Vorträge und Forschungen, Sonderband 56), Ostfildern 2011, S. 98-103.
[12] Gebhard von Rüespach erscheint an Pfingsten 1383 erstmals in den Gehaltslisten des Säckelmeisters. Dort wird er an sechster Stelle hinter dem Stadtschreiber und dem Gerichtsschreiber aufgeführt. Sein ordentlicher Jahreslohn betrug 4 Pfund; Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384, Bern 1896, hier Stadtrechnung 1383/I, S. 263. In Bern fehlen bislang eine moderne paläographische Untersuchung der in Urkunden und Verwaltungsschriften bezeugten Handschriften und deren Zuordnung zu einzelnen Schreibern des 14. und 15. Jahrhunderts. Zuletzt Hermann Rennefahrt: Zum Urkundenwesen in heute bernischem Gebiet und dessen Nachbarschaft während des Mittelalters (bis um 1500), in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 44 (1958), S. 5-125.
[13] Denne Gebhart dem schriber, als er under allen malen den venren schreib (sic!) in disem krieg 2 Pfund; Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384, Bern 1896, hier Stadtrechnung 1384/I, S. 320.
[14] FRB/10, Nr. 62, S. 23f. (23. Juni 1393). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts finden sich mit Johannes Pfister und Johannes Henzler dann zwei Unterschreiber, die im Haushalt des Stadtschreibers Johannes Blum lebten und arbeiteten; Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Tellbücher der Stadt Bern aus den Jahren 1448 und 1458, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 33 (1936), S. 353-575, hier 356. Zur Funktion des Unterschreibers vgl. auch Kathrin Jost: Konrad Justinger (ca. 1365-1438). Chronist und Finanzmann in Berns grosser Zeit (Vorträge und Forschungen, Sonderband 56), Ostfildern 2011, S. 79f.