Navigieren auf Stadt Bern

Benutzerspezifische Werkzeuge

Content navigation

Professionalisierung unter Heinrich von Speichingen

Heinrich von Speichingen war der erste akademisch gebildete Stadtschreiber Berns.

Die Entstehung des neuen auf das städtische Umland gerichteten Verwaltungsschriftguts nach der Eroberung des Aargaus 1415 (Eroberung des Aargaus 1415) stand in direkten Zusammenhang mit der Anstellung Heinrich von Speichingens zum Stadtschreiber (Stadtschreiber und Kanzlei). Mit Heinrich von Speichingen und dessen Sohn Thomas nennen die Quellen zwei Schreiberpersönlichkeiten, welche die bernische Kanzlei über einen Zeitraum von fast 50 Jahren prägten. Während Heinrich von Speichingen das Stadtschreiberamt in der politisch unruhigen Zeit zwischen 1414 und 1439 während 25 Jahren ohne Unterbruch ausübte, leitete sein Sohn Thomas die Kanzlei nach dem Ende des Alten Zürichkriegs zwischen 1450 und 1457. Dazwischen amtierte mit Johannes Blum ein ehemaliger Kanzleiangestellter als Stadtschreiber, der seinen Aufstieg ins höchste Schreiberamt ebenfalls Heinrich von Speichingen verdankte.

Heinrich von Speichingen war der erste Berner Stadtschreiber, der über einen akademischen Grad verfügte.[1] Er entstammte einem traditionellen Schreibergeschlecht, das ursprünglich im süddeutschen Raum beheimatet war und dessen Angehörige in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch das Stadtschreiberamt in Rottweil und Villingen ausübten. Mit Peter von Speichingen erscheint 1392 ein weiteres Familienmitglied als Stadtschreiber in Thun, als dessen Nachfolger 1397 Heinrich genannt wird. 1413 wirkte Heinrich von Speichingen ausserdem als scolasticus des Chorherrenstifts in Amsoldingen. 1414 siedelte er schliesslich nach Bern über, wo er zuerst als Lateinschulmeister und nach dem Tod Heinrich Grubers auch als Stadtschreiber amtierte. Mit Heinrich von Speichingen berief der Rat erstmals einen ausgesprochenen «Kanzleiexperten» in die Stadt. Dessen Aufgabe bestand von Anfang an darin, die kommunale Schreibtätigkeit zu modernisieren und den neuen Anforderungen an die Verwaltung des rasch wachsenden Territoriums anzupassen. Bereits wenige Monate nach seinem Amtsantritt liess er die während der Eroberung des Aargaus im Frühjahr 1415 im Feld ausgehandelten Kapitulationsbedingungen noch vor Ort verschriftlichen.[2] Nach der Plünderung des habsburgischen Landvogteisitzes in Baden kopierten dann mehrere Schreiber gleichzeitig das so genannte Habsburger Urbar zusammen mit anderen Rödeln.[3] Daneben liess Heinrich von Speichingen mehrere Originalurkunden, die habsburgische Rechte in dem von Bern beanspruchten Territorium dokumentierten, von Luzern in die Aarestadt bringen und integrierte diese ins bestehende Urkundenarchiv.[4] Im Mai 1418 reiste der Stadtschreiber schliesslich nach Konstanz, wo er zusammen mit dem späteren Schulheissen Rudolf von Ringoltingen die formelle Verpfändung der 1415 annektierten Gebiete durch König Sigismund erwirkte.[5]. Spezielles Expertenwissen erforderten nach der Eroberung des Aargaus ausserdem die systematische Aufnahme von Kundschaften in der Landschaft und deren Niederschrift in rechtsverbindlichen Offnungen und Weistümern sowie der wachsende Schriftverkehr von Schultheiss und Rat mit auswärtigen Fürstenhöfen. Daneben begleitete Heinrich von Speichingen mehrere diplomatische Gesandtschaften, die ihn 1430 bis ans königliche Hofgericht in Rottweil führten.[6]

Unterschiedliche Löhne sind Ausdruck der zunehmenden Differenzierung der Schreibarbeiten

Entsprechend der zunehmenden Spezialisierung des Stadtschreiberamts auf die Leitung der Kanzlei und die Durchführung repräsentativer Aufgaben wurden die täglich anfallenden Schreibarbeiten wie das Verfassen von Urkunden oder die periodische Nachführung der verschiedenen Amts- und Rechnungsbücher in der Regel nur noch durch untergeordnete Schreiber erledigt.[7] Ausdruck dieser fortschreitenden Arbeitsteilung sind die unterschiedlichen Gehälter, wie sie die Säckelmeisterrechnungen (Säckelmeister) aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefern. Während der ordentliche Jahreslohn des Stadtschreibers mit 65 Pfund fast doppelt so hoch war wie jener des Gerichtsschreibers (Entstehung und Aufgaben des Stadtschreibers), der rund 35 Pfund ausbezahlt erhielt, betrug jener des 1430 erstmals erwähnten Säckelschreibers lediglich 16 Pfund.[8] Als weitere Lohnanteile erhielt der Stadtschreiber neben Naturalien wie Brennholz und Kleider eine Aufwandsentschädigung, die seinen ordentlichen Jahreslohn je nach geleisteten Schreibarbeiten deutlich übertreffen konnte. Allein während der politischen Krisenzeit des Alten Zürichkriegs erhielt Johannes Blum 1446 nicht weniger als 116 Pfund und 7,5 Schillinge ausbezahlt für alles, als er der statt dz verlüffen halb jar geschriben hat etzwie vil vidimus (Beglaubigungen), etzwie menigen brief gemachet, gelt ufzebrechen (aufzunehmen), und ander ding, als wir dz mit ime gerechnet haben.[9] Nach 1436 fanden die Amtseide des Stadtschreibers sowie des Unter- und des Gerichtsschreibers zudem Eingang in das damals neu angelegte Stadtbuch.[10]

Stadtschreiber wohnen in eigentlichen Schreiberwerkstätten

Bis zum Bau des neuen Kanzleigebäudes östlich des Rathauses (Rathaus) zu Beginn des 16. Jahrhunderts bildeten die Stuben der Schreiber sowie die Wohnhäuser der einzelnen Ratsherren wie Säckelmeister (Säckelmeister), Venner (Venner) und Bauherren (Bauherren) die Orte, an denen Amtsgeschäfte getätigt und täglich anfallende Verwaltungs- und Schreibarbeiten erledigt wurden. Die Ratsherren liessen Rödel und Listen anlegen, in denen sie im Namen der Stadt geleistete Arbeiten und Spesen verrechneten oder Namensverzeichnisse über Wehr- und Steuerpflichtige (Bürgerpflichten) erstellten. Das Gleiche gilt für die Landvögte (Landvögte und Tschachtlane), die ihre Verwaltungstätigkeit in eigenen Rechnungsbüchern dokumentierten und ihre Bilanzen dem Säckelmeister zur Prüfung vorlegten. Nach der Berufung Heinrich von Speichingens führte der ständig wachsende Verwaltungsaufwand jedoch dazu, dass die Stadtschreiber in ihren Wohnhäusern eigentliche Schreibwerkstätten einrichteten. Das Tellbuch von 1448 (Tellbuch von 1448) nennt neben dem Stadtschreiber Johannes Blum (Johannes Blum) mit Johannes Pfister und Johannes Henzler zwei Unterschreiber, die im Haushalt des Stadtschreibers lebten und arbeiteten.[11] Erst 1535 forderte der Rat den amtierenden Stadtschreiber schliesslich dazu auf, die brieff und bücher von seinem Wohnhaus in das neu erbaute Kanzleigebäude zu bringen, wo er zukünftig eine eigene Schreibstube zu führen hatte.[12]

Roland Gerber, 21.07.2018



[1]    Zum Folgenden vgl. Urs Martin Zahnd: Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehenden Mittelalter. Verbreitung, Charakter und Funktion der Bildung in der politischen Führungsschicht einer spätmittelalterlichen Stadt (Schriften der Berner Burgerbibliothek), Bern 1979, S. 194-197.

[2]    Peter Brun: Schrift und politisches Handeln. Eine «zugeschriebene» Geschichte des Aargaus 1415-1425. Zürich 2006, S. 70-82.

[3]    Marianne Bärtschi: Das Habsburger Urbar. Vom Urbar-Rodel zum Traditionscodex. Zürich 2008 (Internetversion Zentralbibliothek Zürich), S. 110-112; sowie Kathrin Jost: Konrad Justinger (ca. 1365-1438). Chronist und Finanzmann in Berns grosser Zeit (Vorträge und Forschungen, Sonderband 56), Ostfildern 2011, S. 112-115.

[4]    Nach Rudolf Thommen befinden sich rund 15 der im Badener Archivinventar von 1384 aufgeführten Urkunden heute im Staatsarchiv Bern; Rudolf Thommen (Hg.): Die Briefe der Feste Baden. Basel 1941, S. 38-43; sowie Roland Gerber: Erobert, entführt und makuliert. Das vorländische Archiv der Herzöge von Österreich als Herrschaftsinstrument und Kriegsbeute, in: Die Habsburger zwischen Aare und Bodensee, hg. von Peter Niederhäuser (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 77), Zürich 2010, S. 95-123.

[5]    SSRQ Bern III, Nr. 1350 (1. Mai 1318) und 135p (3. Mai 1318), S. 509-512.

[6]    Urs Martin Zahnd: Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehenden Mittelalter. Verbreitung, Charakter und Funktion der Bildung in der politischen Führungsschicht einer spätmittelalterlichen Stadt (Schriften der Berner Burgerbibliothek), Bern 1979, S. 195.

[7]    Nach einem Eintrag in den Säckelmeisterrechnungen des Jahres 1436 beteiligten sich während der Amtszeit Heinrich von Speichingens neben dem Gerichtsschreiber auch einzelne Unterschreiber an der Verschriftlichung der städtischen Herrschaftsrechte auf dem Land: Denne Cuonraden dem underschriber umb ein nüwen rodel gan Frutingen, gebürt zwei Pfund; Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1430-1452, Bern 1904, hier Stadtrechnung 1436/II, S. 45.

[8]    Ebda., Stadtrechnung 1430/I, S. 7, Stadtrechnung 1444/I, S. 179 oder Stadtrechnung 1445/II, S. 197.

[9]    Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1430-1452, Bern 1904, hier Stadtrechnung 1446/II, S. 219.

[10]  SSRQ Bern I/II, Nr. 125, S. 523f. Zum Amtseid des Säckelschreibers vgl. auch SSRQ Bern V, Nr. 16a, S. 15f. (3. Januar 1533).

[11]  Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Tellbücher der Stadt Bern aus den Jahren 1448 und 1458, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 33 (1936), S. 353-575, hier 356.

[12]  Kdm Bern III, S. 34-74.

Weitere Informationen.

Fusszeile