Entstehung und Aufgaben des Stadtschreibers
Die städtische Kanzlei wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts vom Stadtschreiber und seinem Schüler betreut.
Dem Stadtschreiber (Stadtschreiber und Kanzlei) kam aufgrund seiner Ausbildung und seiner Anwesenheit an Ratssitzungen eine wichtige und vertrauensvolle Stellung innerhalb der Stadtverwaltung zu.[1] In Bern wird mit Peter von Gisenstein erstmals 1296 ein von der Stadt besoldeter Schreiber erwähnt.[2] Mit Burchardus (1257-1278) und Ulricus (1278-1288) nennen die Quellen zwar bereits im 13. Jahrhundert zwei in Bern ansässige Notare, die bei Bedarf Urkunden im Namen des Rats verfassten. Diese dürften jedoch – im Sinne von Gelegenheitsschreibern – noch in keinem festen Anstellungsverhältnis zur Stadt gestanden sein.[3] Erst nach der Institutionalisierung eines zweihundertköpfigen Grossen Rats und der Vergrösserung des alten regierenden Rats von 12 auf 24 Mitglieder während der Verfassungsreform von 1294 (Verfassungsreform von 1294) kam es zur Ausbildung eines eigentlichen Stadtschreiberamts. Peter (III) von Gisenstein (Peter (III) von Gisenstein) war damit der erste notarius ville bernensis, der sich nicht nur für die Niederschrift einzelner Rechtstexte verantwortlich zeigte, sondern ganz allgemein Schreibarbeiten für Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) durchführte. Er besass ein eigenes Siegel und trat bis zu seinem Tod um 1312 wiederholt als Zeuge in Rechtsgeschäften in Erscheinung.[4] Peter von Gisenstein stammte aus einem alteingesessenen Berner Notabelngeschlecht (Adels- und Notabelngeschlechter).[5] Damit unterschied er sich sowohl durch seinen gehobenen sozialen Status als auch durch seine intimen Kenntnisse der Ratsgeschäfte von seinen Vorgängern. Das hohe Ansehen, das die Familie Gisenstein innerhalb der Bürgerschaft genoss, dürfte eine wichtige Voraussetzung dafür gewesen sein, dass ihm der Rat nach den politischen Umwälzungen von 1294 die Verantwortung über die kommunale Schriftgutproduktion übertrug.
In Bern entsteht eine auf das Umland gerichtete Schriftlichkeit
Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts kam es mit dem Erwerb der ersten Dorfgerichte (Herrschaftsbildung auf dem Land 1298 bis 1415) und der Aufnahme Dutzender sozial hochgestellter Herrschaftsträger ins städtische Burgrecht (Gedingbürger) zur Entstehung einer spezifischen, auf das Umland gerichteten Schriftlichkeit. Neben Herstellung und Lagerung von Urkunden, welche die von der Bürgerschaft errungenen Freiheiten und Rechte dokumentierten, gehörte vor allem das Verfassen von Burgrechtsverträgen und Bündnissen mit weltlichen und geistlichen Herren (Weltliche und geistliche Gerichtsherren) zu den wichtigsten Aufgaben der städtischen Schreiber.[6] Dazu kamen das Anfertigen von Pfandschafts- und Kaufurkunden sowie die Verschriftlichung der vom Stadtgericht (Stadtrecht) ausgesprochenen Urteile. Gerade in jenen Urkunden, in denen der Rat als Gerichts- und Schlichtungsinstanz der mit der Stadt verburgrechteten adligen und geistlichen Herrschaftsträger auftrat, manifestierten sich schon früh dessen Bemühungen, seinen politischen Einfluss gewissermassen in Stellvertretung des Königs auch auf die Landschaft auszudehnen.[7]
Roland Gerber, 17.07.2018
[1] Gerhart Burger: Die südwestdeutschen Stadtschreiber im Mittelalter, Böblingen 1960.
[2] FRB/3, Nr. 666, S. 658f. (27. August 1296).
[3] Hermann Rennefahrt: Zum Urkundenwesen in heute bernischem Gebiet und dessen Nachbarschaft während des Mittelalters (bis um 1500), in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 44 (1958), S. 5-125, hier 54-56.
[4] Erstmals urkundlich erwähnt wird Peter von Gisenstein im Jahr 1291, als der Berner Stadtarzt Magister Gilian und seine Gattin verschiedene Güter an die Augustinerpropstei in Interlaken stifteten; FRB/3, Nr. 516, 504f. (5. Juni 1291).
[5] Roland Gerber: Münzer contra Bubenberg. Verwandtschaften und Faktionen im Berner Rat zu Beginn des 14. Jahrhunderts. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 68 (2006), S. 179-234, hier 187f.
[6] Die wichtigsten Dokumente sind ediert in: SSRQ Bern. Vgl. dazu auch Urs Martin Zahnd: Bündnis- und Territorialpolitik, in: BMZ, S. 469-504.
[7] Roland Gerber: Münzer contra Bubenberg. Verwandtschaften und Faktionen im Berner Rat zu Beginn des 14. Jahrhunderts. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 68 (2006), S. 179-234, hier 193.