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Stadtschreiber und Kanzlei

Das Amt des Stadtschreibers entwickelte sich bis zum Ende des Mittelalters zu einer wichtigen Behörde, in der gleichzeitig mehrere Schreiber tätig waren.

Institutionalisierung und Professionalisierung der städtischen Kanzlei standen in direkter Abhängigkeit zum Herrschaftsaufbau auf dem Land während des späten Mittelalters (Entstehung des städtischen Territoiums).[1] Damit Unterschied sich Bern von anderen Städten im Reich, die über kein eigenes Herrschaftsgebiet verfügten. Neben der Unterstellung mehrerer Tausend auf dem Land lebender Bürger (Ausbürger) unter die kommunale Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit (Bürgerpflichten) führten in Bern vor allem die Finanzierung der expansiven Erwerbs- und Schuldenpolitik auf Kosten der Grafen von Kiburg nach 1384 sowie die Integration des 1415 eroberten Aargaus ins bestehende Herrschaftsgebiet zu einer Zunahme der Schriftlichkeit (Von der Umland- zur Territorialpolitik). Diese Intensivierung ist vergleichbar mit der Entwicklung in einem fürstlichen Territorium und ist als Antwort auf die wachsenden Ansprüche an Herrschaftsaufbau und Diplomatie zu verstehen. Bedeutend für das Funktionieren der Verwaltung war, dass die im Zuge des expansiven Ausgreifens auf das Land entstandenen Texte dauerhaft aufbewahrt wurden.

Nach der Eroberung des Aargaus 1415 ist Expertenwissen gefragt

Der wachsende herrschaftliche Zugriff auf die Landschaft stellte den Rat vor neue Herausforderungen, die ohne zusätzliches Expertenwissen nicht gemeistert werden konnten. Die nach der Verfassungsreform von 1294 (Verfassungsreform von 1294) institutionalisierte Behörde des Stadtschreibers entwickelte sich bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts von einer einfach ausgestatteten Schreibbehörde, die von einem Notar mit seinem Schüler im Nebenamt ausgeübt wurde, zum professionell geführten Verwaltungsamt, in dem gleichzeitig mehrere Schreiber damit beschäftigt waren, die von der Stadt beanspruchten Herrschaftsrechte auf dem Land zu verschriftlichen.[2] Die Leitung der Kanzlei oblag seit 1414 bevorzugt einem akademisch gebildeten Stadtschreiber, der nicht nur über besondere Sprachkenntnisse und organisatorische Fertigkeiten verfügte, sondern zunehmend auch repräsentative Aufgaben wahrnahm.[3] Heinrich von Speichingen war der erste akademisch gebildete Kanzleiexperte Berns. Er zeichnete sich nicht nur durch seine hohe Bildung, sondern auch durch seine Abstammung aus einer traditionellen Schreiberfamilie gegenüber allen bisherigen Stadtschreibern aus. Die Aufgabe Heinrich von Speichingens bestand darin, die kommunale Schreibtätigkeit nach der Eroberung des Aargaus 1415 (Eroberung des Aargaus 1415) zu modernisieren und den neuen Anforderungen an Verwaltung und Diplomatie anzupassen. Bedeutsam für die weitere Professionalisierung der Kanzlei bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts war, dass das von Heinrich von Speichingen eingebrachte spezialisierte Fachwissen nach dessen Tod 1439 nicht einfach verloren ging, sondern von seinen Amtsnachfolgern Johannes Blum und Thomas von Speichingen weitervermittelt wurde. Während sich Johannes Blum vor allem durch seine praktische Erfahrung als langjähriges Kanzleimitglied zum Stadtschreiber qualifizierte, verkörperte Thomas von Speichingen den neuen Typ des akademisch gebildeten Schreibers, der sich durch seinen gehobenen sozialen Status und seine Lebensführung als ländlicher Gerichtsherr von seinen Amtsvorgängern abhob. Das Selbstverständnis Thomas von Speichingens ist damit mit jenem des 1312 zum Stadtschreiber ernannten Ulrich von Gisenstein vergleichbar. Beide Männer leiteten die bernische Kanzlei sozusagen im Nebenamt, während sie als Angehörige der städtischen Oberschicht an der aktuellen Ratspolitik teilhatten und ihr Vermögen in den Erwerb repräsentativer Grund- und Gerichtsherrschaften (Twingherren) auf dem Land investierten.

Roland Gerber, 17.07.2018



[1]    Barbara Studer Immenhauser: Verwaltung zwischen Innovation und Tradition. Die Stadt Bern und ihr Untertanengebiet 1250-1550 (Mittelalter-Forschungen 19). Ostfildern 2006, S. 199-223; sowie Roland Gerber: Gott ist Burger zu Bern. Eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft zwischen Herrschaftsbildung und sozialem Ausgleich (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 39). Weimar 2001, S. 377-466.

[2]    Roland Gerber: Expansion mit dem Federkiel. Die Berner Kanzlei und der städtische Herrschaftsaufbau auf dem Land im späten Mittelalter, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 74 (2012), S. 3-35.

[3]    Barbara Studer Immenhauser: Verwaltung zwischen Innovation und Tradition. Die Stadt Bern und ihr Untertanengebiet 1250-1550 (Mittelalter-Forschungen 19), Ostfildern 2006, S. 79-83.

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