Navigieren auf Stadt Bern

Benutzerspezifische Werkzeuge

Content navigation

Rat der Zweihundert

Der 1294 institutionalisierte Rat der Zweihundert bildete bis zum Ende des Ancien Régime 1798 das oberste Ratsgremium der Stadt Bern.

Während Verfassungsreform von 1294 (Verfassungsreform von 1294) erzwangen opponierende Bürger, dass das Prinzip des 1249 erstmals erwähnten zweiteiligen Rats mit der Schaffung eines zweihundertköpfigen Grossen Rats institutionalisiert und zur Grundlage der bis zum Ende des Ancien Régime 1798 gültigen bernischen Ratsverfassung erhoben wurde.[1] Der konkrete Anlass für diese Neugestaltung war die militärische Niederlage bernischer Truppen gegen das Belagerungsheer des Sohnes König Rudolfs I. von Habsburg an der Schosshalde 1289 (Gefecht an der Schosshalde 1289).[2] Neben dem Verlust der Ehre verursachten vor allem die Hinrichtung mehrerer Bürger auf dem Schlachtfeld, die hohen Kriegsentschädigungen sowie die Bezahlung von Lösegeldern für die Rückführung der Gefangenen eine tiefe Unzufriedenheit unter den Bürgern. Hinzu kamen die seit längerer Zeit bestehenden Forderungen der sich in eigenen Berufsverbänden organisierenden Handwerker sowie verschiedener durch Handels- und Geldgeschäfte reich gewordener Kaufleute. Diese verlangten eine breitere Beteiligung der Bürger am städtischen Regiment insbesondere der von Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) getragenen Darlehenspolitik.

Der Rat der Zweihundert entscheidet über wichtige innen- und aussenpolitische Fragen

Der 1294 institutionalisierte Rat der Zweihundert erhielt als oberstes politisches Gremium der Stadtgemeinde die Kompetenz, über alle wichtigen innen- und aussenpolitischen Fragen zu entscheiden. Gleichzeitig übertrugen ihm die Bürger wichtige Aufgaben bei der Kontrolle des kommunalen Finanzhaushalts. Obwohl die täglichen Regierungsgeschäfte auch nach 1294 allein vom vierundzwanzigköpfigen Kleinen Rat geführt und alle wichtigen Ämter und Behörden (Ratsämter und Behörden) durch diesen besetzt wurden, waren bei wichtigen Beschlüssen oder bei grösseren Finanzgeschäften immer auch mehrere Grossräte an Ratssitzungen anwesend.[3] Eine im 14. Jahrhundert erlassene Satzung legte sogar ausdrücklich fest, dass Finanzentscheide von Schultheiss und Rat, die über ein Pfund betrugen, nur mit Willen und Wissen von mindestens 40 Grossräten getroffen werden durften.[4] Ausgenommen von dieser Bestimmung blieben einzig die in Not- und Kriegszeiten gefällten Entscheide von Vennern (Venner) und Heimlichern (Heimlicher). Eine ähnliche Mitverantwortung des Grossen Rats zeigt sich auch im erstinstanzlichen Stadtgericht (Stadtrecht). Dieses setzte sich seit dem 15. Jahrhunderts aus neun, seit 1503 aus zwölf Mitgliedern des Rats der Zweihundert zusammen. Mindestens zwei von ihnen sass im Kleinen Rat.[5] Gegen Urteile dieses Gerichts konnte an den Kleinen Rat und von diesem an den Grossen Rat appelliert werden.[6]

Handwerksmeister bilden die Mehrheit

Bedeutsam für die weitere Entwicklung der Ratsverfassung war, dass die Handwerksmeister im neu geschaffenen Rat der Zweihundert die Mehrheit bildeten.[7] Obwohl diese auch nach 1294 keinen in der Stadtverfassung garantierten Zugang zu den Ratsgremien erhielten und die Zünfte (Zünfte und Gesellschaften) als politische Korporationen sogar ausdrücklich verboten wurden, sicherten sich die Handwerker innerhalb des Grossen Rats eine direkte Einflussnahme auf die Besetzung der wichtigsten kommunalen Ämter (Politische Bedeutung der Zünfte). Die Angehörigen der alteingesessenen, seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Regiment vertretenen Familien blieben zwar im Kleinen Rat weiterhin führend, die Bestätigung der neuen oder im Amt bestätigten Ratsherren sowie des Schultheissen lag seit 1294 jedoch in der ausschliesslichen Kompetenz des Rats der Zweihundert. Die bislang allein regierenden Adels- und Notabelngeschlechter (Adels- und Notabelngeschlechter) waren damit auf die Unterstützung von Handwerksmeistern und Gewerbetreibenden angewiesen, wenn sie ihre politischen Anliegen in den Ratsgremien durchsetzen wollten.[8]

Die Kompetenzen des grossen Burgerrats werden beschnitten

Die regierenden Geschlechter zeigten sich deshalb bestrebt, die Kompetenzen des Rats der Zweihundert zurückzudrängen und diesen nur noch bei wichtigen Entscheiden zusammenzurufen.[9] Der Rat der Zweihundert, dessen Mitgliederzahl im 15. Jahrhundert zwischen 280 und 450 Personen schwankte, blieb zwar formell das oberste Ratsgremium Berns, in Wirklichkeit wurde die Regierungsgewalt jedoch seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert immer ausschliesslicher vom Täglichen Rat wahrgenommen.[10] Dieser betrachtete den grossen Burgerrat in erster Linie als beratendes Gremium, das politisch brisante Entscheide wie Kriegserklärungen, Bündnisse mit auswärtigen Fürsten, Kreditaufnahmen und Steuererhebungen sowie die Ratswahlen an Ostern (Wahlprozedere an Ostern) im Namen der Gesamtbürgerschaft zu bestätigen hatte. Eine wichtige Kompetenz bestand ausserdem in der Abnahme der zentralen Stadtrechnung des Säckelmeisters (Säckelmeister), die jeweils um den St. Johannestag (21. Juni) und den Weihnachtstag (25. Dezember) stattfand. Die Mitglieder des Rats der Zweihundert wurden bei ihrem Amtsantritt eidlich dazu verpflichtet, sich nur auf ausdrückliches Geheiss von Schultheiss und Rat, wenn sie die Glocke in der St. Vinzenzkirche (Pfarrkirche von St. Vinzenz) oder die cleini glogken oder schellen, so in der lüt kilchen ob dem kantzel hanget, läuten hörten, zu versammeln.[11] Zuwiderhandlungen gegen dieses Versammlungsverbot zogen hohe Bussen und eine Verbannung aus der Stadt nach sich.

Roland Gerber, 17.07.2018



[1]    Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 85-139.

[2]    Der Grund für die Belagerung waren Steuerforderungen König Rudolfs I. von Habsburg gegenüber königlichen Städten im Jahr 1285. Da sich der Berner Rat weigerte, den Steuerforderungen nachzukommen, entschloss sich dieser 1288 zum militärischen Vorgehen gegen die Stadt; Richard Feller: Geschichte Berns, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1516, Bern 1946, S. 59-62.

[3]    Zum Beispiel FRB/10, Nr. 649, S. 310 (7. April 1385).

[4]    SSRQ Bern I/2, Nr. 172, S. 74.

[5]    Die Säckelmeisterrechnung von 1433 nennt neun biderben manen, die des gerichtz gehuet hant von phingsten untz [bis] crucem (14. September); Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1430-1452, Bern 1904, hier Stadtrechnungen 1433/II, S. 26. Zum Stadtgericht vgl. auch Eduard Von Rodt: Bern im fünfzehnten Jahrhundert, Bern 1905, S. 163; sowie die Gerichtssatzung vom 24. April 1503; SSRQ Bern V, Nr. 17c, S. 29.

[6]    Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage). S. 160f.

[7]    In den beiden «Verfassungsurkunden» von 1294 werden keine Adligen erwähnt; FRB III, Nr. 611, S. 602f. (18. Februar 1294).

[8]    Roland Gerber. Das Ringen um die Macht, in: Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges zum 60. Geburtstag, hg. von Christian Hesse, Beat Immenhauser, Oliver Landolt und Barbara Studer, Basel 2003, S. 3-24.

[9]    Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 95-108; sowie Regula Schmid: Wahlen in Bern. Das Regiment und seine Erneuerung im 15. Jahrhundert, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 58 (1996), S. 233-270, hier 237. Zur Entwicklung und Institutionalisierung von Ratsämtern und Stadtbehörden während des Spätmittelalters vgl. auch Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 131-146; Ernst Voltmer: Reichsstadt und Herrschaft. Zur Geschichte der Stadt Speyer im hohen und späten Mittelalter (Trierer historische Forschungen 1), Trier 1981; sowie Eberhard Naujoks: Obrigkeitsgedanke, Zunftverfassung und Reformation. Studien zur Verfassungsgeschichte von Ulm, Esslingen und Schwäbisch Gmünd (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 3), Stuttgart 1958, S. 15.

[10] Die Osterwahlrödel nennen 426 (1436), 333 (1458), 292 (1470), 309 (1480), 300 (1490) und 320 (1493) Grossräte; Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891 S. 96f.; sowie Regula Schmid: Wahlen in Bern. Das Regiment und seine Erneuerung im 15. Jahrhundert, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 58 (1996), S. 233-270, hier 236.

[11] SSRQ Bern V., S. 75f.; sowie Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 96.

Weitere Informationen.

Fusszeile