Haushäbliche Ratsbürger
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand der exklusive Kreis der haushäblichen Ratsbürger.
Mit dem Übergang der ehemals von der Gesamtbürgerschaft ausgeübten Rechte an den Rat der Zweihundert (Rat der Zweihundert) kam es zu einer Teilung der Bürgerschaft in zwei unterschiedliche Rechtsverbände, von denen der eine innerhalb, der andere ausserhalb der städtischen Ratsgremien stand. Während sich die im Rat sitzenden Bürger mit den jährlich an den Osterwahlen stattfindenden Vereidigungen allmählich zu den eigentlichen Repräsentanten der bürgerlichen Schwurgenossenschaft (Bürgerliche Schwurgenossenschaft) entwickelten, verloren die ausserhalb der Ratsgremien stehenden Bürger immer mehr politische Rechte. Deren Rechtsstellung näherte sich dadurch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts weitgehend jenen der in der Stadt ansässigen Nichtbürger an. Diese hatten wie die Bürger den üblichen Bürgerpflichten (Bürgerpflichten) nachzukommen, blieben jedoch von der aktiven Teilnahme am politischen und ökonomischen Leben der Stadtgemeinde ausgeschlossen. Die rechtliche Unterteilung der Stadtbevölkerung beruhte damit nicht mehr auf dem Besitz des Bürgerrechts (Bürgereid), sondern ergab sich aus der persönlichen Stellung der Stadtbewohner als Ratsmitglieder, als selbständige Haushaltvorstände oder als unselbständige Mitbewohner eines fremden Haushalts, den sogenannten Hintersassen. Diese Unterteilung in drei unterschiedliche Rechtsverbände zeigt sich erstmals in den von Schultheiss und Rat 1473/74 und 1477 durchgeführten Gesamtvereidigungen der Stadtbevölkerung (Gesamtvereidigung von Stadt- und Landbevölkerung). An diesen ausserordentlichen Schwörtagen, die in Folge militärischer Bedrohungen während der Burgunderkriege stattfanden, wurden zuerst die Mitglieder des Kleinen und Grossen Rats, dann die Bürger und Haushaltvorstände sowie am Schluss all frömbd dienst und harkommen knecht, so nit mit für und liecht inwoner sind, in separaten Eiden auf die Stadtverfassung vereidigt.[1]
Das Udel wird zum Kriterium der Ratsfähigkeit
Im Verlauf des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts entwickelte sich das Udel (Udel) immer mehr zu einem Rechtsmittel, mit dessen Hilfe der Rat versuchte, eine neue privilegierte Personengruppe von besitzenden und regimentsfähigen Bürgern zu schaffen. Diese so genannten Ratsbürger[2] sollten die ursprünglich der Gesamtbürgerschaft zukommenden Rechte immer ausschliesslicher allein auf sich vereinigen. Das Udel wurde damit wieder in seinem ursprünglichen Sinn des 13. Jahrhunderts als Wohnhaus eines Bürgers verstanden, das für dessen geschworenen Bürgerpflichten haftete. Da sich nur wohlhabende Personen ein eigenes Wohnhaus leisten konnten, ergab sich für den Rat die Möglichkeit, die Wahl in Ratsgremien sowie den Zugang zu städtischen Institutionen wie Zünften (Zunftbürger) und Spitälern (Spitäler) bis zum Ende des Mittelalters allmählich auf den exklusiven Kreis der haushäblichen Bürger einzuschränken. Erstmals erkennbar werden diese Bestrebungen im Jahr 1437, als Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) beschlossen, die Aufnahme in die kommunalen Spitäler auf jene Personen zu begrenzen, die mindestens fünf Jahre in der Stadt Bern husheblich gewohnt und das stat recht erfüllet und gehalten haben.[3]
Roland Gerber, 24.06.2018
[1] SSRQ Bern I/2, Nr. 195, S. 129f. (9. Mai 1473); SSRQ Bern V, Nr. 20a, S. 51f. (7. Dezember 1474); sowie Gustav Tobler (Hg.): Die Berner Chronik des Diebold Schilling 1468-1484, 2 Bde., Bern 1897/1901, Nr. 342, S. 136-139.
[2] Der Begriff «Ratsbürger» kommt in Bern während des Mittelalters nicht vor. In Augsburg und anderen Städten war die Bezeichnung «Bürger vom Rat» zunächst für die regierenden Adels- und Notabelngeschlechter reserviert, während die Zunftbürger «Bürger von den Zünften und von den Handwerken» oder Bürger von der «Gemeinde» genannt wurden; Eberhard Isenmann: Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, in: Neubürger im späten Mittelalter, hg. von Rainer C. Schwinges (Beiheft der Zeitschrift für Historische Forschung 30), Berlin 2002, S. 203-249.
[3] SSRQ Bern I/2, Nr. 71, S. 52 (21. Juli 1437). Vgl. dazu auch Ingomar Bog: Über Arme und Armenfürsorge in Oberdeutschland und in der Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 34/35 (1975), S. 983-1001, hier S. 988.