Zweite Stadterweiterung nach 1343
Aufgrund der militärischen Bedrohung des Laupenkriegs erhielt auch die westlich des Käfigturms entstandene Vorstadt eine Befestigung.
Das seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ungebrochene Bevölkerungswachstum gipfelte im Jahr 1343 in einer zweiten Stadterweiterung. Diese wurde von Schultheiss und Rat aufgrund der militärischen Bedrohung des drohenden Laupenkriegs (Laupenkrieg von 1339/40) in Angriff genommen.[1] Wie schon 1255 sollte auch diesmal die entlang der westlichen Ausfallstrasse zwischen dem um 1233 erbauten Heiliggeistspital (Oberes Spital) und dem Käfigturm entstandene Vorstadt in den städtischen Mauerring einbezogen werden. Die Äussere Neustadt (Äussere Neustadt) befand sich im Unterschied zu den älteren Stadtteilen jedoch grösstenteils ausserhalb der von der Aare umflossenen Halbinsel. Der neue Stadtteil musste deshalb nicht nur im Westen, sondern auch im Norden und Süden durch ausgedehnte Befestigungsanlagen (Stadtbefestigungen) geschützt werden. Obwohl auch diese Stadtmauer wenigstens in den zentralen Abschnitten entlang natürlicher Quergräben errichtet wurde, übertraf sie mit einer Länge von rund 1‘100 Metern sämtliche bisher von der Stadt durchgeführten Bauprojekte. Allein die Bauzeit der neuen Westbefestigungen erstreckte sich mit allen Anpassungen an die aufkommende Geschütztechnik von der Mitte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Der Rat musste noch in den Jahren zwischen 1458 und 1473 über 5‘000 Gulden in den Aus- und Umbau der bestehenden Mauer- und Grabenabschnitte investieren.[2]
Äussere Neustadt
Der neu ummauerte Stadtteil zählte insgesamt sieben fächerförmig angelegte Gassen, von denen jedoch nur die Fronten der vier zentralen Gassen der Spital-, Schauplatz-, Neuen- und Aarbergergasse während des Spätmittelalters dichter mit Wohnhäusern überbaut waren. An den drei übrigen peripheren Gassen reihten sich neben einzelnen Gärten und Äckern vor allem Ställe und Scheunen, die sowohl die Bewohner der Neustadt als auch die Einwohnerschaft der älteren Stadtteile bewirtschafteten. Obwohl die Besiedlung der Äusseren Neustadt durch die seit 1349 in regelmässigen Abständen in Bern grassierende Pest (Pest und Seuchenzüge) zeitweilig ins Stocken geriet und zwischen 1367 und 1387 insgesamt sieben grössere Stadtbrände in den alten Stadtteilen östlich des Käfigturms teilweise erhebliche Zerstörungen verursachten, scheint die Bevölkerung des jüngsten Stadtteils schnell angewachsen zu sein.[3] Im Jahre 1389 können jedenfalls bereits etwa 280 Wohnhäuser in der Äusseren Neustadt lokalisiert werden. Die Zahl der Einwohner, die sich in den 46 Jahren zwischen der Grundsteinlegung zum Oberen Spitaltor 1343 und der Niederschrift des ältesten überlieferten Vermögenssteuerregisters 1389 (Telle von 1389) westlich des Käfigturms niedergelassen hat, dürfte somit rund 1‘000 Personen betragen haben.
Roland Gerber, 13.11.2017
[1] Die erste urkundliche Erwähnung der nüwen stat zem heiligen geist oder ussren nüwenstatt findet sich im Oktober 1344; Paul Hofer: Die Wehrbauten Berns. Burg Nydegg und Stadtbefestigungen vom 12. bis zum 13. Jahrhundert, Bern 1953, S. 38; Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage), S. 47-50; sowie Kdm Bern I, S. 82-87 und 129-174.
[2] Roland Gerber: Öffentliches Bauen im mittelalterlichen Bern. Verwaltungs- und finanzgeschichtliche Untersuchung über das Bauherrenamt der Stadt Bern 1300 bis 1550 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 77), Bern 1994, S. 26f.
[3] Allein im Jahre 1387 zerstörte ein Feuer an der Kocher- und Amthausgasse sowie im so genannten Äusseren Gerberngraben über 140 Wohnhäuser, die grösstenteils nicht wieder aufgebaut wurden; Studer, Gottlieb (Hg.), Die Berner Chronik des Conrad Justinger, Bern 1871, Nr. 284, S. 177. Infolge der wiederholt auftretenden Stadtbrände kann angenommen werden, dass die Äussere Neustadt auch von obdachlos gewordenen Bewohnern der älteren Stadtteile besiedelt worden ist.