Herkunft der Stadtbewohner
Die Zuwanderer stammten aus der näheren Umgebung Berns, aber auch aus Nord- und Ostdeutschland sowie aus der Lombardei und dem Piemont.
Anhand der in den Tellbüchern verzeichneten Orts- und Herkunftsnamen lässt sich die geografische Herkunft der Berner Einwohnerschaft bestimmen und für die Jahre 1389 und 1448 grafisch darstellen. Obwohl die meisten Herkunftsnamen vor allem bei den wohlhabenden Ratsgeschlechtern bereits im Verlauf des 14. Jahrhunderts zu eigentlichen Familiennamen entwickelten, können die in den Steuerregistern überlieferten Ortsnamen – insbesondere wenn diese über einen längeren Zeitraum betrachtet werden – durchaus auch als Herkunftsorte dieser Familien betrachtet werden. Die meisten waren wie die von Bubenberg, von Erlach oder von Wabern ursprünglich entweder aus den entsprechenden Orten nach Bern übergesiedelt oder standen in einer familiären oder herrschaftlichen Beziehung zu den in den Familiennamen genannten Ortschaften oder Adelsherrschaften. Kaum Probleme macht hingegen die Bestimmung der Herkunftsorte der weniger vermögenden Personen wie Mägden, Knechten und Bettlern sowie der Handwerksgesellen, deren Herkunftsnamen noch bis weit ins 16. Jahrhundert mehrheitlich reine Ortsbezeichnungen darstellten. Das Gleiche gilt für die über grössere Entfernungen migrierenden spezialisierten Handwerker und Akademiker, die ihre Familiennamen wie beispielsweise der Kürschner und Fernkaufmann Johannes Beheim (Böhmen), genannt Fränkli, und der Arzt Johannes von Sachsen erst nach ihrer Übersiedlung nach Bern annahmen.[1]
Geografische Auswertung der Herkunftsorte
Bei einer geografischen Auswertung der Herkunftsorte der Einwohner Berns im 15. Jahrhundert ist grundsätzlich zwischen den in den Tellbüchern von 1389 und 1448 dokumentierten Personen und den in anderen Quellen überlieferten Herkunftsorten spezialisierter Handwerker und Akademiker zu unterscheiden. Während sich die Herkunftsorte der in den Steuerbüchern erwähnten Stadtbewohner fast ausschliesslich auf das Gebiet des heutigen bernischen Mittellands mit Schwerpunkten entlang den Flusstälern von Aare, Sense und Emme sowie in zweiter Linie auf das Gebiet der Eidgenossenschaft konzentrieren, verteilten sich die Herkunftsgebiete der Spezialisten über den gesamten, sich trichterförmig gegen Nordosten öffnenden Raum von Elsass/Schwaben über das Mittelrheingebiet und Franken bis nach Nord- und Ostdeutschland sowie im Süden über Teile der Lombardei und des Piemont. Diese ungleichmässige geografische Verteilung der Herkunftsorte widerspiegelt einerseits die starke Ausrichtung Berns auf das eigene Territorium (Entstehung des städtischen Territoriums), aus dem sich der weitaus grösste Teil der zugewanderten Stadtbewohner rekrutierte, andererseits dokumentiert sie die Einbettung der Stadt in den oberdeutschen Wirtschaftsraum, der im 15. Jahrhundert zu den führenden in Europa gehörte (Wirtschafts- und Vermögensentwicklung).[2] Die Zuwanderung nach Bern umfasste im Spätmittelalter damit ein Gebiet, das sich in vier verschiedene Migrationsräume (Migrationsräume) gliedern lässt.[3] Diese Räume werden entsprechend ihrer Entfernung von der Stadt als Kernmigrationsraum (städtisches Umland) sowie als naher, ferner und entfernter Migrationsraum bezeichnet.[4] Alle vier Migrationsräume unterscheiden sich sowohl in ihrer geografischen Ausdehnung als auch in der Zahl und Berufstätigkeit der Zuwanderer voneinander.
Roland Gerber, 13.11.2017
[1] Zur Bestimmung mittelalterlicher Familiennamen vgl. Friedhelm Debus: Namengebung und soziale Schichtung, in: Naamkunde 5 (1973), S. 368-400.
[2] Vgl. dazu Wolfgang von Stromer: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 55-57), Wiesbaden 1970; sowie Hektor Ammann: Die wirtschaftliche Bedeutung der Schweiz im Mittelalter, in: Festschrift für Aloys Schulte, Düsseldorf 1927, S. 112-132.
[3] Zur funktionalen Gliederung des städtischen Umlands während des Spätmittelalters vgl. Rolf Kießling: Die Stadt und ihr Umland. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen 29), Köln/Wien 1989, S. 707-713; sowie zur Entstehung von Migrationsräumen Rainer Christoph Schwinges: Bürgermigration im Alten Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Migration in die Städte. Ausschluss – Assimilierung – Integration – Multikulturalität, hg. von Hans Jörg Gilomen, Anne-Lise Head-König und Anne Radeff (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), Zürich 2000, S. 17-37.
[4] Vgl. dazu Bruno Koch: Neubürger in Zürich. Herkunft und Entwicklung der Bürgerschaft der Stadt Zürich im Spätmittelalter 1350 bis 1550, Dissertation maschinenschriftlich, Bern 1999.