Station 9: Ausbrechen
«Schweigen ist für mich keine Option mehr.» Das Ausbrechen aus einer gewalttätigen Beziehung kann viele Schritte umfassen.
Opferberatungsstellen oder Therapeut*innen kontaktieren, Schutzunterkünfte finden, einen Notfallplan erstellen, rechtliche Beratung suchen oder eine Anzeige bei der Polizei erstatten. Auch das Dokumentieren von Gewaltvorfällen kann helfen. Nicht nur um Gewaltmuster besser zu erkennen, sondern auch um sich auf eine Anzeige vorzubereiten.
Häufig fehlt es an Beweismitteln und Zeug*innen. Safe withyou, der Online-Speicher für Beweismittel von häuslicher Gewalt und Stalking, bietet dafür einen sicheren Ort und gibt Tipps, was bei der Dokumentation zu beachten ist.
Ein Polizist, eine Anwältin und ein Gewaltberater erzählen
Wie geht die Polizei mit Fällen häuslicher Gewalt um? Welche Rechte haben Betroffene? Gibt es Unterstützung für gewaltausübende Personen? Ein Polizist, eine Anwältin und ein Gewaltberater erzählen.
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Ich bin Sabine Schmutz und arbeite als Anwältin in Bern. Ich mache diese Arbeit schon etwa seit 25 Jahren und das sehr gerne. Man sieht viele Menschen in schwierigen Situationen und es ist schön, die Leute auf dem Weg hinaus aus dem Schwierigen zu begleiten. Es ist wirklich berühren zu sehen, wie es die Leute schaffen, die Gewaltspirale zu durchbrechen und so Schritt für Schritt in ein neues Leben zu gehen, sich ein neues Leben aufzubauen, dies mithilfe von verschiedenen Stellen, die sie dabei unterstützen.
Rechtliche Möglichkeiten für Betroffene von häuslicher Gewalt
Betroffene von häuslicher Gewalt können etwas machen. Sie können rechtliche Schritte einleiten, um sich zu schützen. So können sie sich trennen: Verheiratete Personen können beim Gericht ein Trennungsverfahren, ein Eheschutzverfahren einleiten, auch nicht verheiratete können, wenn sie unmündige Kinder haben, bei der Kindes - und Erwachsenen -Schutzbehörde (KESB) oder beim Gericht ein Verfahren einleiten und die Kinderbelange zu regeln.
Von häuslicher Gewalt betroffene Personen können, egal ob sie verheiratet sind oder nicht, beim Gericht auch Schutzmassnahmen beantragen. Dies zum Schutz gegen Gewalt, gegen Drohungen, gegen Nachstellungen.
Man hat auch die Möglichkeit, ein Strafverfahren einzuleiten. Im Strafverfahren haben Betroffene von häuslicher Gewalt auch Rechte. So hat z .B. jedes Opfer das Recht, sich im Verfahren von einer Vertrauensperson begleiten zu lassen und auch, dass eine Übersetzer*in beigezogen wird.
Welche Art von Beweisen benötigt man denn, um rechtlich überhaupt gegen einen Täter*in vorzugehen?
Da gibt es eine ganz breite Palette an Beweisen und das ist auch in jedem Fall ein bisschen anders. Wichtig ist sicher, dass die gewaltbetroffene Person gute und detaillierte Aussagen machen kann. Bei häuslicher Gewalt geht es aber halt häufig um Vier -Augen -Delikte. Das heisst, häufig steht dann Aussage gegen Aussage. Darum ist es wichtig, dass man möglichst von Anfang an, wenn man Gewalt erlebt, Beweise sammelt.
Zum Beispiel Arztberichte: Es ist wichtig, dass man möglichst sofort zum Arzt oder zur Ärztin geht, wenn etwas passiert ist und dass man dort erzählt,was wirklich passiert ist.
Man kann auch selber Fotos machen von den Verletzungen, möglichst mit Zeitstempel, damit man auch beweisen kann, wann denn das war. Oder Handynachrichten, Sprachnachrichten und Mail sichern - aber so, dass auch hier Datum und Uhrzeit detailliert dokumentiert werden.
Man kann Screenshots von verpassten Anrufen machen, z .B. bei telefonischer Belästigung oder Nachbar*innen miteinbeziehen, die etwas mitgekriegt haben, oder sich generell einer Person Anvertrauen, was man erlebt hat, sei das einer privaten Person, der man vertraut oder einer Beraterin*in einer Opferberatungsstelle. Man kann Tagebuch schreiben und so weiter. Wichtig ist einfach, möglichst beweise sichern.
Was tun bei finanziellen Sorgen?
Wenn man sich trennen will nach häuslicher Gewalt, macht das je nachdem auch finanziell Sorgen. Wenn man ein Verfahren einleiten will, dann kostet das auch. Lassen Sie sich hier durch eine Opferhilfeberatungsstelle beraten, da gibt es Möglichkeiten. Je nachdem kann man ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege machen oder die Opferhilfe kann Kostengutsprachen erteilen. Darum, wenn Sie von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben Sie auch vor dem Kostenpunkt nicht Angst. Gehen Sie zu einer Opferberatungsstelle, lassen Sie sich beraten. Da gibt es wirklich gute Unterstützungsmöglichkeiten.
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Pro Tag rücken wir im Kanton Bern durchschnittlich 4 Mal zu einem Fall von häuslicher Gewalt aus. Mein Name ist André Weber, ich bin von der Prävention der Kantonspolizei Bern.
Was geschieht, wenn die Polizei wegen häuslicher Gewalt alarmiert wird?
Wir werden durch unsere Einsatzzentrale an den Ereignisort geschickt. Vor dort, nehmen wir mit den Betroffenen Kontakt auf. Wir schauen uns den Ereignisort an. Die ersten Minuten vor Ort sind immer von einer großen Ungewissheit geprägt.
War es ein einfacher Streit? Hat es gefährliche Gegenstände, Messer, Gläser, Stichwaffen? Sind vielleicht Kinder involviert? Wenn ja, versuchen wir diesen anderen Schutz zu geben und sie aus den Geschehen zu nehmen. Ist jemand verletzt? Wenn ja, hat die Betreuung natürlich hohe Priorität.
Anschliessend trennen wir die Beteiligten, wenn möglich, in verschiedene Räume. Wir wollen von beiden Parteien hören, was sie erlebt oder vielleicht auch gemacht haben. Parallel dazu werden mögliche Spuren und Beweismittel vor Ort gesichert. Nach den ersten Abklärungen entscheiden wir, wie das weitere Vorgehen ist. Wir klären ab, ob es sich um ein Antrags - oder Offizialdelikt handelt. Bei einem Antragsdelikt muss die betroffene Person ein Strafantrag stellen. Bei einem Offizialdelikt müssen wir von der Polizei von Amtes wegen handeln.
Nach den ersten Abklärungen entscheiden wir vor Ort, was mit Opfer und Täter*in passiert. Je nachdem greifen andere Massnahmen. Wie soll es weitergehen? Diese Frage versuchen wir bestmöglich zu beantworten. Wichtig ist, dass Betroffene nicht alleine gelassen werden, sondern Hilfe bekommen. Dazu holen wir weitere Partner mit ins Boot, z .B. das Frauenhaus oder die Kinder - und Erwachsenschutzbehörde (KESB). Wenn das Opfer einverstanden ist, kontaktieren wir zudem die Opferhilfe.
Wichtig für Sie, wenn Sie selber von häuslicher Gewalt betroffen sind oder Sie einen Vorfall mitbekommen, wenden Sie sich jederzeit an uns, Auch im Zweifelsfall ist es sinnvoll, wenn Sie uns kontaktieren. Kommen Sie lieber einmal zu viel als zu wenig! Für Sie fallen keine Kosten an. Rufen Sie an. Und ihr seid jeden Tag und zu jeder Zeit für Sie unter der Nummer 112 oder 117 erreichbar.
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Mein Name ist Nick Hostettler und ich arbeite als Gewaltberater bei der Fachstelle Gewalt in Bern. Mich interessiert an meiner Arbeit, dass ich versuche, die Menschen zu verstehen. Ich versuche zu verstehen, wieso sie sich so verhalten und versuche in der Beratung mit ihnen zusammen zu arbeiten, was sie genau tun und wieso sie das tun. Das hat eigentlich immer viel mit Emotionen zu tun. Neben meiner Tätigkeit als Gewaltberater interessiere ich mich für das Phänomen der Gewalt auf verschiedenen Ebenen. Ich bin auch Sicherheitsfachmann und leite meine eigene Sicherheitsfirma Taktvoll Sicherheitskultur. Daneben mache ich gerne Kampfsport und biete Selbstverteidigungskurse für alle Menschen an. Bei der Fachstelle Gewalt melden sich Menschen, die entweder gewalttätig geworden sind oder Angst haben, dies zuwerden. Wir sind ein Verein und wir sind spendenfinanziert. Das heisst, eine Beratungsstunde kostet nur so viel, wie der Klient die Klientin bezahlen kann.
Wir unterstützen Menschen dabei, ihr Gewaltverhalten zu ändern. Das ist ein Prozess und er dauert. Wir können nur Unterstützung anbieten, wenn auch der Wille da ist, etwas zu ändern. Gerade in der Partnerschaft ist das Gewaltverhalten nicht aus reiner Böswilligkeit, sondern ist meistens Mittel zum Zweck, um eine Situation zu beenden.
Als erstes arbeiten wir an der Verantwortungsübernahme. Es ist wichtig, dass der*die Täter*in voll und ganz die Verantwortung für die Taten, die er*sie gemacht hat übernimmt. Als zweitens klären wir auf: wie kommt es zu Gewalt? Was ist überhaupt Gewalt? Und wieso werden Menschen, die gewalttätig geworden sind, oft auch wieder gewalttätig? Wir arbeiten anschliessend mit der Wahrnehmung. Wie nehme ich wahr, wie fühle ich? Wie kann ich mich selbst steuern, wie kann ich mich regulieren? Wir regen dabei zur Selbstreflexion an und schauen an, was kann ich machen, was kann ich tun, dass ich nicht mehr gewalttätig bin. Oft sind Täter*innen hilflos.
Sie sehen sich nicht in der Lage ihr Verhalten zu ändern oder zu steuern, doch möchten dies tun. Wir versuchen, sie dabei zu unterstützen, dass sie sich selbst regulieren und selbst ihr Verhalten steuern können.
Schutzmassnahmen
Schutzmassnahmen sind Massnahmen, die der Sicherheit und dem Schutz von gefährdeten Personen dienen, insbesondere in Fällen von Gewalt oder Bedrohung. Sie können unabhängig von einem Strafverfahren vom Gericht oder auch der Polizei angeordnet werden.
Zu den gängigen Schutzmassnahmen gehören:
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Wegweisung: Die Polizei kann die gewaltausübende Person aus der Wohnung oder dem Haus für 14 Tage wegweisen.
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Gewahrsam: Die Polizei kann eine gewaltausübende Person für maximal 24 Stunden inhaftieren, um die Sicherheit der betroffenen Person zu gewährleisten.
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Kontaktverbot: Täter*innen dürfen die gewaltbetroffene Person nicht kontaktieren, weder direkt noch über Dritte.
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Rayonverbot: Täter*innen dürfen bestimmte Orte nicht betreten, wie z. B. den Wohn- oder Arbeitsort der gewaltbetroffenen Person.
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Annäherungsverbot: Es wird eine Mindestdistanz festgelegt, die Täter*innen zur gewaltbetroffenen Person einhalten müssen.
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Wohnungszuweisung: Das Gericht kann einer gewaltbetroffenen Person die Familienwohnung zuweisen, während der*die Täter*in diese verlassen muss.
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Lernprogramme für Täter*innen: Das Gericht kann anordnen, dass der*die Täter*in ein Lernprogramm besuchen muss, um weitere Gewalt zu verhindern.
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Elektronische Fussfesseln: In schweren Fällen kann das Gericht anordnen, dass der*die Täter*in mit einer elektronischen Fussfessel überwacht wird um sicherzustellen, dass sich an das Rayon- oder Annäherungsverbot gehalten wird.
Unentgeldliche Rechtspflege
Ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann gestellt werden, wenn jemand finanziell nicht in der Lage ist, die Kosten für ein Gerichtsverfahren zu tragen. Wird das Gesuch bewilligt, übernimmt der Staat die Anwalts- und Gerichtskosten ganz oder teilweise.
Die Voraussetzung ist, dass:
- Die finanziellen Mittel nicht ausreichen.
- Der Fall nicht aussichtslos ist.
Unentgeltliche Rechtspflege sorgt dafür, dass alle Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Situation Zugang zur Justiz haben.
Trennungsverfahren und Eheschutzverfahren
Das Trennungsverfahren wird eingeleitet, wenn Ehepartner*innen vor einer Scheidung getrennt leben möchten, aber wichtige Fragen wie Unterhalt, elterliche Sorge oder die Nutzung der gemeinsamen Wohnung geregelt werden müssen.
Das Eheschutzverfahren hingegen kommt dann zum Einsatz, wenn Ehepartner*innen bereits getrennt leben und Unterstützung bei der Regelung des Zusammenlebens oder der Trennung benötigen, ohne gleich eine Scheidung einzuleiten.
Ein Eheschutzverfahren wird zudem eingeleitet, wenn die Ehegatten sich über die Trennungsfolgen nicht einigen können oder einer der Ehegatten sich gegen eine Trennung stellt.
Unterschied:
Während das Trennungsverfahren meist als erster Schritt zur Scheidung gilt, dient das Eheschutzverfahren in erster Linie der Sicherung der familiären Verhältnisse und kann auch unabhängig von einer geplanten Scheidung beantragt werden.
Strafverfahren
Ein Strafverfahren wird eingeleitet, wenn eine Straftat gemeldet oder bekannt wird. Es dient dazu, die Straftat aufzuklären, Beweise zu sammeln und zu entscheiden, ob derdie Täterin bestraft wird. Dabei geht es auch darum, die Rechte der betroffenen Personen zu schützen und für Gerechtigkeit zu sorgen.
In Fällen wie häuslicher Gewalt oder Bedrohung prüft die Polizei oder Staatsanwaltschaft die Situation, befragt Zeug*innen und stellt Beweise sicher. Danach entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob Anklage erhoben wird.
Es gibt zwei Arten von Straftaten:
- Antragsdelikte: Bei diesen Straftaten muss das Opfer zuerst eine Anzeige machen (Strafantrag stellen), damit die Tat verfolgt wird. Das gilt zum Beispiel für leichte Drohungen oder leichte Körperverletzungen.
- Offizialdelikte: Diese Straftaten werden automatisch von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft verfolgt, auch wenn das Opfer keine Anzeige macht. Dazu gehören schwere Fälle wie schwere Körperverletzung, Vergewaltigung oder schwere Formen von häuslicher Gewalt.
Der Weg nach vorne ist individuell
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Unterwegs in Bern? Die Station 10 findest du auch vor Ort: Werkhof Egelsee, Muristrasse 21E, 3006 Bern.
- 7. Dezember 2024 - Raum im 1 Stock - Zugang über die Aussentreppe auf der Strassenseite
- Anschliessend: EG, Nähe WC