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Station 7: Zivilcourage zeigen

«Warum ist das Umfeld wichtig?» Häusliche Gewalt ist keine Privatsache! Ein unterstützendes Umfeld kann eine wichtige Rolle spielen und Betroffenen helfen, dem Gewaltkreislauf zu entkommen.

Bild Legende:

Gewaltbeziehungen lähmen. Viele Betroffene fühlen sich hilflos und allein. Familienangehörige, Freund*innen, Nachbar*innen oder das erweiterte Umfeld sehen, hören oder erfahren oft als Erstes von Gewaltvorfällen. Ein unterstützendes Umfeld kann eine wichtige Rolle spielen und Betroffenen helfen, dem Gewaltkreislauf zu entkommen. 

Ohne meine Familie hätte ich es nicht geschafft.

Betroffene richtig unterstützen, ist nicht einfach und kann belasten. Aber nichts zu tun, hilft nur der Person, die Gewalt ausübt. Dass Betroffene die erlebte Gewalt oft so lange aushalten, ist für das Umfeld häufig schwer nachvollziehbar. Die Trennung aus einer gewalttätigen Beziehung wird von aussen als einfache Lösung angesehen. Doch die Situation, in der sich Gewaltbetroffene befinden, ist komplex. Eine Trennung beendet die Gewalt oft nicht, sondern kann sie sogar verschärfen. Auch emotionale und finanzielle Abhängigkeiten, gemeinsame Kinder oder rechtliche Hürden erschweren eine Trennung. Es ist wichtig Betroffenen Verständnis, Geduld und Unterstützung entgegenzubringen.  

Am Schluss konnte ich mich nur dank der Unterstützung meines Umfelds befreien.

Mut zu zeigen und hinzuschauen kann einen grossen Unterschied machen. Auch weil häusliche Gewalt häufig einem wiederkehrenden Muster folgt, bekannt als Gewaltspirale (Station 5). Diese Spirale erschwert es Betroffenen, sich aus der Beziehung zu lösen – insbesondere, wenn nach Gewaltvorfällen immer wieder eine «Honeymoon-Phase» folgt, die Hoffnung auf Besserung weckt. Das kann es für Betroffene schwierig machen, Hilfe von aussen anzunehmen, weil sie glauben, dass sich die Situation nun ändern wird. Genau deshalb ist es entscheidend, dass das Umfeld rasch reagiert und unterstützt, sobald es Anzeichen von Gewalt erkennt. Denn alleine aus der Gewaltspirale auszubrechen, ist äusserst schwierig. 

Meine Nachbarin hat die Polizei gerufen. Ich war so froh, ich hätte nicht den Mut gehabt, sie selbst zu rufen.

Wie wichtig ist das Umfeld für Betroffene von häuslicher Gewalt?

Höre das Audio einer betroffenen Person von Häuslichen Gewalt

Diese Aufnahme wurde in Mundart gemacht. Eine deutsche Textversion findest du unterhalb des Audios.

Wir möchten dich darauf hinweisen, dass dieses Audio nicht sinnbildlich für alle Betroffenen spricht und jede Erfahrung individuell ist. 

Ich möchte mich kurz vorstellen: Mein Name ist Michelle. Ich bin 34 Jahre alt, alleinerziehende Mutter und war selbst Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt. Ich habe sechseinhalb Jahre lang für mich und meine Rechte gekämpft. Es war eine sehr schwierige und belastende Zeit. Nach diesen 6,5 Jahren kam es schliesslich zu einer Verurteilung. Dafür bin ich unglaublich dankbar, denn es ist in der Schweiz keineswegs selbstverständlich, dass solche Fälle vor Gericht Erfolg haben. Es war nicht immer leicht. Es gab Momente, in denen ich nicht mehr weitermachen wollte und nicht mehr konnte. Oft war ich kurz davor, aufzugeben, und habe mir gewünscht, dass alles einfach endet. Ich konnte mich selbst kaum noch ertragen. Doch heute kann ich sagen, dass es mir wieder sehr, sehr gut geht.

Für Aussenstehende ist es oft schwer, eine betroffene Person zu verstehen, aber genau das ist enorm wichtig. Irgendwann wird die betroffene Person erzählen, was passiert ist. In diesem Moment zählt es, da zu sein – ohne Vorwürfe wie «Ich habe es dir doch immer gesagt“. Stattdessen sollte man mitfühlend sein, sagen: «Alles wird gut. Ich bin da. Kann ich dir irgendwie helfen? Was brauchst du? Ich bin für dich da.» Vorwürfe helfen niemandem.

Ich erinnere mich noch genau: Ich landete im Krankenhaus mit einem Schlüsselbeinbruch. Und dann begann es: «Michelle, du musst dies tun, Michelle, du musst das machen, Michelle hier, Michelle dort. Michelle, Michelle, Michelle.» Es war wie eine Lawine, die über mich hereinbrach. Ich hatte keinen Moment mehr für mich, keine ruhige Minute zum Durchatmen. Irgendwann musste ich einfach sagen: «Stopp. Was ist eigentlich passiert? Wo stehe ich jetzt? Was soll ich als Nächstes tun?»

Für Aussenstehende ist es wichtig, Betroffene nicht unter Druck zu setzen. Wirklich nicht. Seid einfach da. Sie wird kommen, wenn sie bereit ist. Und wenn sie vielleicht zurückgeht zum Täter – lasst sie. Ihr könnt sie nicht kontrollieren, das ist ihr freier Wille. Aber gebt sie nicht auf. Sagt nicht: «Wenn du noch einmal zurückgehst, dann brauchst du bei mir nicht mehr anzuklopfen.» Das treibt sie nur noch weiter weg.

Wenn sie aber weiss, dass sie immer Unterstützung hat – dass ihre Familie und ihre Freunde hinter ihr stehen – dann gibt ihr das Kraft. Es stärkt sie und hilft ihr vielleicht auch, den Schritt zu wagen, eine Anzeige zu erstatten. Denn sie weiss, sie ist nicht allein, sie wird unterstützt.

In der Zeit, in der ich mitten in der Gewaltspirale gefangen war, war ich oft allein. Ich wünschte mir damals jemanden, der Verständnis gehabt hätte. Jemanden, der mich nicht verurteilt hätte, egal wie naiv ich in dem Moment war. Eine Person, an die ich mich jederzeit wenden konnte, selbst wenn ich erneut zum Täter zurückgegangen wäre.

Ja, ich weiss, es ist nicht einfach für Aussenstehende. Aber bitte, versucht es ohne Vorwürfe. Lasst sie nicht fallen, egal wie oft sie zurückkehrt. Seid für sie da, schreibt ihr oder ruft sie hin und wieder an. Selbst wenn sie nicht antwortet – irgendwann wird sie es tun. Und wenn dieser Moment kommt, müsst ihr bereit sein, da zu sein.

Wie kann ich unterstützen?

Der Weg aus der Gewalt erfordert Mut und Unterstützung, aber er ist möglich.

Weiter zu Station 8 «Auswege finden».

Unterwegs in Bern? Die Station 8 findest du auch vor Ort: Familienzentrum Bern, Muristrasse 27, 3006 Bern. 

Weitere Informationen.

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