Was macht die Altstadt zum Weltkulturerbe?
Die Berner Altstadt ist ein Gesamtkunstwerk. Die ausserordentliche Stadtanlage überzeugt durch ihre herausragende Eigenschaft: den aussergewöhnlichen universellen Wert.
Mindestens eines der sechs Kriterien der UNESCO muss erfüllt werden, um auf der Liste der UNESCO-Weltkulturgüter aufgenommen zu werden. Die Altstadt von Bern erfüllt mit ihrer herausragenden Eigenschaft ein Kriterium der UNESCO:
Punkt III:
«Die Güter stellen ein einzigartiges oder zumindest aussergewöhnliches Zeugnis einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur dar.»
Der Punkt III der Kriterienliste der UNESCO beinhaltet sowohl materielle als auch immaterielle Werte und wird so dem vielfältigen Flächendenkmal gerecht. Das Weltkulturerbe definiert sich über gesellschaftliche, zeichensprachliche und bauliche Prozesse und Ideale und ist politischen, wirtschaftlichen und ideellen Einflüssen unterworfen.
Aufbau auf den Strukturen der Gründungsstadt
Die Altstadt von Bern ist ein herausragendes Beispiel einer zähringischen Städtegründung des 12. und 13. Jahrhunderts, wie sie beispielsweise auch Freiburg im Breisgau (D), Neuenburg am Rhein (D), Freiburg im Uechtland oder Burgdorf darstellen. Die Stadtelemente der Gründungsstadt von 1191 sind in Bern besonders gut erkennbar: Die Riemenparzellen, welche sich an den Ost-West-gerichteten Gassen aufreihen und der grosszügige Strassenraum, der ursprünglich als Marktplatz genutzt wurde; die fortschrittliche Wasserversorgung mit dem Stadtbach sowie die Wasserentsorgung mit den Ehgräben. Auch heute noch wird das Stadtbild von einer Dachlandschaft geprägt, an der sich die Bebauungsstruktur ablesen lässt: die parallellaufenden Gassenzüge werden beidseits von herrschaftlichen Häuserzeilen mit ähnlicher Höhe flankiert, dazwischen liegt die Abfolge der Hinterhäuser und Höfe, welche – über den Ehgräben gelegen – die Küchen und Aborte aufnehmen. Verschwunden ist dagegen die ehemalige Herrscherburg der Zähringer, an deren Stelle sich heute die gotische Nydeggkirche erhebt.
Respektvolle Weiterentwicklung
Im Verlauf der Stadtentwicklung veränderte sich die Altstadtbebauung stetig, respektierte dabei jedoch immer den gründungszeitlichen Stadtplan. Die Häuser wuchsen sowohl in die Höhe als auch in die Hofräume hinein, sie wuchsen aber dank der Einführung der für Bern typischen Lauben nach 1405 auch um eine Raumtiefe in den ehemaligen Gassenraum. Dieser wurde dadurch schmaler, ohne seine Grosszügigkeit zu verlieren. An vielen Altstadtgebäuden lassen sich daher Stil- und Bauelemente aus mehreren Jahrhunderten finden. Besonders signifikant für das Erscheinungsbild der Stadt Bern ist das 18. Jahrhundert. Bis heute prägen die barocken Bürgerhäuser das Stadtbild. Diese Phase der Stadtentwicklung zeugt von der Zeit, als die Bürgerschaft des damals grössten Stadtstaats nördlich der Alpen ihre Stellung baulich zum Ausdruck bringen wollte. Eine bauliche Konstante stellt aber nicht nur der respektierte Gründungsplan der Stadt dar, sondern auch der Berner Sandstein, der seit dem Stadtbrand von 1405 als Baumaterial für Gassen- und Platzfassaden vorgeschrieben ist und der die für Bern typische Quaderbauweise über alle Stilentwicklungen hinweg begründet hat. Vom Spätmittelalter bis heute prägt der lokale Sandstein das Gesicht der Altstadt von Bern.
Die verschiedenen Etappen der Stadterweiterung führten zum Bau von Wehrtürmen und Befestigungsanlagen, die sich auch heute im Stadtbild abzeichnen. Die Wehrtürme der früheren Bauetappen, etwa der Käfigturm und der Zytgloggeturm, erhielten ab dem Spätmittelalter eine repräsentative Funktion. Im Bereich der Kleinen Schanze ist ein Teil der jüngsten Wehranlage – das Bollwerk der Barockzeit – gut ablesbar.
Topografische Einbettung
Der Stadtkörper erstreckt sich auf der Aarehalbinsel, die ihrerseits in das bis heute stark durchgrünte Aaretal eingebettet liegt. Diese einzigartige Topografie mit der klaren Trennung von Stadtkörper und Grün- und Naturraum gilt als eine der zentralen Welterbeeigenschaften. Das die Altstadt umschliessende Aaretal wird geprägt durch die vielen öffentlichen und privaten Grünanlagen, welche sich an den stadtseitigen Flanken der Halbinsel entlangziehen und den Stadtkörper klar und kompakt in Erscheinung treten lassen. Im Bereich der Junkern- und Herrengasse sind diese Grünanlagen als architektonisch gestaltete Terrassengärten ausformuliert, denen damit eine weitere spezifische Bedeutung für das Welterbe zukommt.
Städtebau und öffentlicher Raum
Ein wesentliches Element einer Stadt machen jedoch nicht die Gebäude aus, aus denen sie gebaut ist, sondern die Räume, welche diese Bebauung definieren: die Gassen, Plätze und Parkanlagen, also die Gesamtheit des öffentlichen Raums. In Bern fallen natürlich vor allem die leicht geschwungenen, mehr oder weniger parallel verlaufenden Gassenzüge auf, die von den emblematischen Arkadengängen, den Lauben, begleitet werden. Dazu kommen repräsentative Platzanlagen, die im 18. Jahrhundert ihre gültige Form gefunden haben, allen voran der Münster- und der Rathausplatz. Und natürlich die Boulevards, Aussichtsterrassen und Parkanlagen des 19. Jahrhunderts, die geschaffen wurden, als Bern zur Bundesstadt gewählt wurde und ein grossstädtisches Flair erhielt.
Bau- und kunsthistorische Zeugen
Innerhalb dieses klar gegliederten, in der Gründungszeit festgelegten Stadtkörpers befinden sich viele markante Einzelbauten, die für sich allein herausragende Baudenkmäler darstellen, wie etwa das Münster, das Rathaus oder der Zytglogge. Aber auch die Bundeshäuser oder das Kunstmuseum gehören als Zeugen der Stadtentwicklung des 19. Jahrhunderts dazu. Sie prägen das Weltkulturerbe vor allem in der Oberen Altstadt. In seltener Konsequenz sind diese schon zur Bauzeit als Denkmäler konzipierten Bauten immer an der nord- oder südseitigen Stadtflanke erstellt worden und prägen das Stadtbild auch aus der Fernsicht. Zu den kunsthistorischen Zeugen gehören aber nicht nur Gebäude, sondern auch Kunstwerke im öffentlichen Raum, Kunstwerke als Bauplastik oder Innenausstattung und natürlich hervorragende technische und künstlerische Einzelwerke. Als Beispiele genannt seien die Berner Figurenbrunnen, die Farbglasfenster im Münsterchor oder das Astrolabium im Zytgloggenturm. Einzigartige Kunstwerke finden sich auch im Rathaus oder den Bundeshäusern und natürlich in vielen Privathäusern, wo sich kunsthistorisch bedeutsame Interieurs erhalten haben.