Das Wandbild Wylergut Bern als Beispiel
Ein Wandalphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen erkannt werden. Das Siegerprojekt eines städtischen Wettbewerbs sah deshalb die Verschiebung des Wandbildes in ein Museum vor. Nun wurde das Projekt realisiert: Das Wandbild ging als Schenkung an das Bernische Historische Museum.
Unter dem Titel «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» läuft bis 1. Juni 2025 die Ausstellung des Vereins «Das Wandbild muss weg!» im Bernischen Historischen Museum.
Eine Wandmalerei im Berner Schulhaus Wylergut von 1949 zeigt ein Alphabet, welches die Buchstabenfolge mit Gegenständen, Tier- und Pflanzenarten illustriert, aber auch mit drei stereotypen Darstellungen je eines chinesischen, eines afrikanischen und eines amerikanisch-indigenen Menschen. Das Werk der Künstler Eugen Jordi (1894-1983) und Emil Zbinden (1908-1991) ist ein Ausdruck der damaligen Kultur, die Menschen nach Hautfarben einteilte.
Um dieses historische Wandbild kritisch neu zu verorten, hat eine Fachjury im Auftrag der Stadt Bern 2020 in einem Wettbewerbsverfahren fünf Projektvorschläge erarbeiten lassen. Auf die einstimmige Empfehlung der Jury hin hat sich die Kommission für Kunst im öffentlichen Raum nun für das Projekt «Das Wandbild muss weg!» von Ashkira Darman (Gymnasiallehrerin Geschichte), Fatima Moumouni (Spoken Word Poetin), Vera Ryser (Kuratorin), Bernhard Schär (Historiker) und Angela Wittwer (Künstlerin) entschieden. Das Projektteam hält fest, dass eine Primarschule kein geeigneter Ort für das Wandbild sei; hier entziehe es sich der dringenden, gesamtgesellschaftlich zu führenden Debatte über den Umgang mit dem kolonialen Erbe. Daher soll das Wandbild von der aktuellen Stelle entfernt und an ein Museum übergeben werden.
Verlegung begleitet von Workshops
Mit der Schenkung an ein Museum initiiert das Projektteam eine Praxis der kritischen Aufarbeitung der Berner Kolonialgeschichte. Es plant zudem Workshops für Lehrkräfte und öffentliche Veranstaltungen. Der Wettbewerbsbeitrag umfasst eine gesellschaftliche und schulinterne Auseinandersetzung, die der Entfernung vorangehen müssten, die restauratorische Projektierung der Entfernung des Wandbildes und deren Dokumentation. Auf einer Website entsteht ein «Archiv mit Materialien zur Entstehung, Entfernung und Rekontextualisierung des Wandbildes für verschiedene Altersstufen».
Nach Entfernung des Wandbildes soll im Schulhaus eine temporäre künstlerische Installation auf die Webdokumentation verweisen und so den Erinnerungs- und Verlernensprozess im Schulhaus begleiten. Sie wird im Dialog mit Rassismus-betroffenen Menschen, dem begleitenden Kommissionsmitglied, der Eigentümervertretung, der Schulleitung und den Erben der Künstler entwickelt.
Gastausstellung im Bernischen Historischen Museum
Nun steht fest: Die Schenkung des Wandbildes an das Bernische Historische Museum kommt zu Stande. Die Arbeiten zur Verschiebung des Werkes sind angelaufen. Aus Sicht von Dr. Thomas Pauli-Gabi, Direktor des Bernischen Historischen Museums (BHM), kann das Museum Hand bieten, damit das Werk durch die Aufnahme in die Sammlung als Zeugnis einer gesellschaftlichen Debatte langfristig erhalten bleibt. Gleichzeitig bietet die Überführung ins Museum die Chance, die am Wandbild entzündete Debatte in einem musealen Kontext weiterzuführen. Als Gastkuratorium im BHM zeichnet das Projektteam für die Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» verantwortlich (25. April 2024 bis 1. Juni 2025). Unter dem Titel BHM Lab wurde bereits im März 2022 eine Diskussion zum Thema lanciert.
Abnahme durch Fachleute
Die Abnahme haben ein Restaurator und zwei Berner Hochschul-Abgängerinnen mit Unterstützung des Fachbereichs Konservierung und Restaurierung der Hochschule der Künste Bern (HKB) vorgenommen. Zur Anwendung kam dabei die möglichst substanzerhaltende Abnahmetechnik, das sogenannte Staccoverfahren. Dabei wird die Oberfläche der Malschicht zuvor mit einer Facing-Schicht geschützt, mit einer aufgedoppelten Leichtträgerplatte verstärkt und dann zwischen Fein- und Grobputzschicht mit einem Sägedraht hinterschnitten. Zur Stabilisierung wird danach auf der Rückseite der Bildfelder ein neues Trägermaterial aufgebracht. Bei der Abnahme wurden fünf der Bildfelder beschädigt und in den Werkstätten der Hochschule im Sinne des originalen Erscheinungsbildes retuschiert. Die schwarzen Übermalungen durch eine anonyme Aktion dagegen bleiben als Teil der Objektgeschichte erhalten. In einem Interview mit Radio Rabe gibt die HKB-Dozentin Christel Meyer-Wilmes Auskunft zu den restauratorisch-ethischen Überlegungen.
Die Stadt als Auftraggeberin
Die Fachjury der städtischen Kommission für Kunst im öffentlichen Raum entschied sich einstimmig für das Siegerprojekt. Dieses verlange von seinen Autorinnen und Autoren, aber auch von der Stadt als Auftraggeberin und der Öffentlichkeit einen grossen Einsatz. Mit diesem Projekt geht ein Aufruf einher, sich mit der kollektiven Verantwortung für historische Bilder und Objekte in öffentlichen Räumen auseinanderzusetzen. Die Diskussion um rassistische Stereotypisierungen, die Kontextualisierung historischer Artefakte der kolonialen Geschichte der Schweiz sowie deren Wirkmacht im heutigen Alltag soll so in der breiten und in der fachlichen Öffentlichkeit geführt werden und nicht nur im – letztlich durch einen historischen Zufall ausgewählten – Primarschulhaus.
Dokumentation
Die Präsentationen des Wettbewerbs sind online dokumentiert. Die fünf Projektteams stellten ihre Vorschläge am 19. August 2020 und am 5. September 2020 im Kornhausforum vor. In der Zwischenzeit wurde das Wandbild in einer anonymen Aktion teilweise schwarz übermalt. Nach einer weiteren Überarbeitungsrunde erfolgte die öffentliche Bekanntgabe des Siegerteams und von dessen Projektidee am 20. März 2021 im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus. Auf einer Website des Projektteams werden im Laufe des Projektes weitere Unterlagen gesammelt: www.daswandbildmussweg.ch.