Der Monat
Im Mai 2021 fand der Berner Aktionsmonat LIKEƎVERYONE für mehr Sichtbarkeit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt statt.
Die Treffs der offenen Jugendarbeit (toj), der Gaskessel und die Jugendlichen im Kompetenzzentrum Schlossmatt setzten sich mit Rollenbildern, unterschiedlichen Formen der Liebe und der Vielfalt der Geschlechter auseinander.
Unter Mitwirkung von zahlreichen Berner Organisationen und engagierten Einzelpersonen, wurde ein vielfältiges Rahmenprogramm für die breite Bevölkerung auf die Beine gestellt, das die queere Vielfalt in Bern sichtbar gemacht hat. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und weitere queere Menschen aus Bern zeigten sich und gaben Einblicke in ihre Lebenswelten. LGBTIQ-Vereine, Fachorganisationen und Beratungsangebote berichteten von ihren Tätigkeiten, soziale und kulturelle Events boten Gelegenheiten für Begegnungen, Austausch und Diskussionen. Kurz: Der Berner Aktionsmonat LIKEƎVERYONE war die Gelegenheit für alle, mehr über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zu erfahren.
Wieso brauchte es einen Berner Aktionsmonat LIKEƎVERYONE?
Praktisch alle lesbischen, schwulen, bisexuellen, asexuellen/aromantischen, trans, intergeschlechtlichen und weiteren queeren (= «LGBTIQ» oder «queeren») Menschen machen aufgrund ihres «Andersseins» Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen. Oft sind es nicht Schläge oder offene feindselige Bemerkungen, sondern subtilere und unauffälligere Formen der Gewalt wie Ausgrenzung, Marginalisierung, Tabuisierung und Pathologisierung queerer Identitäten, Liebes- und Lebensweisen, die das Selbstvertrauen von queeren Menschen untergraben und ihre Lebensqualität negativ beeinflussen.
Dass in Schule, Ausbildung, Freizeitbereich und insbesondere auch in den Medien praktisch nur heterosexuelle cis Personen und Lebensweisen sichtbar sind, vermittelt homo- und bisexuellen sowie trans Menschen jeden Tag in aller Deutlichkeit, dass sie von den Erwartungen der Gesellschaft abweichen. Und auch wenn in der Schweiz ungefähr gleich viele intergeschlechtliche Menschen leben, wie die Stadt Bern Einwohner*innen hat, ist die Tatsache, dass es auch auf biologischer Ebene mehr als zwei Varianten der Geschlechtsentwicklung gibt, in der Gesellschaft praktisch unsichtbar.
Ungefähr 5-10% der Schweizer Bevölkerung gehören aufgrund ihrer Identität, ihrer Lebensweise oder ihren körperlichen Merkmalen zu einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit. dennoch berichtet ein Grossteil der queeren Jugendlichen davon, dass sie vor ihrem Coming Out keine einzige Identifikationsfigur in ihrem näheren Umfeld hatten.
Fehlende positive Rollenmodelle und die Angst vor Gewalt und Diskriminierung führt bei LGBTIQ-Menschen zu einer chronisch hohen Stressbelastung (vgl. auch sog. Minderheiten-Stress-Modell) und dazu, dass diese im Durchschnitt über deutlich höhere gesundheitliche Risikofaktoren und Belastungen wie Selbstwertprobleme, Angst, Depression, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten oder risikoreiches Suchtverhalten berichten als heterosexuelle cis Menschen. Berichtet wird auch häufiger von Mobbingerfahrungen in der Schule, sozialem Rückzug oder Zurückweisung durch die Herkunftsfamilie. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass homo- und bisexuelle junge Frauen und Männer in einer repräsentativen Schweizer Studie fünfmal häufiger über Suizidversuche berichten als ihre heterosexuellen Gleichaltrigen (1). Und die Suizidalität unter trans und intergeschlechtlichen Menschen ist nochmals deutlich höher.
Die gute Nachricht ist: LGBTIQ-Kinder und Jugendliche, die in ihrem Umfeld keinerlei Gewalt und Diskriminierung erleben, von der Familie Unterstützung erfahren und sozial gut integriert sind, entwickelt sich genau so gesund und sind genauso leistungsfähig wie ihre heterosexuellen cis-geschlechtlichen Gleichaltrigen.
Nicht nur queere Jugendliche sondern auch cis heterosexuelle Jugendliche, welche nicht den gängigen Geschlechternormen entsprechen, können Zielscheibe von Sprüchen, Spott und Ausgrenzung werden. «Lustige» Sprüche über Homosexuelle und die Verwendung von «schwul» als Schimpfwort gehören zum Schulalltag (2) an Schweizer Schulen. Dadurch werden auch Gruppennormen in Bezug auf normative Geschlechtsrollen und erwünschte Formen der (Hetero)sexualität aufrechterhalten. Aufgrund der Angst, dem Bild eines «richtigen Mannes» oder einer «richtigen Frau» nicht genügend zu entsprechen und als «schwul», «lesbisch» oder «trans» gehalten zu werden, schränken manche Jugendliche ihr Verhaltensrepertoire stark ein und leiden unter psychischem Druck, der insbesondere bei männlichen Jugendlichen nachweislich auch ein Risiko für Gewaltverhalten darstellt (vgl. «toxische Männlichkeit»).
Die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen von «richtiger» Männlichkeit und Weiblichkeit, Geschlechterstereotypen, Geschlechtsrolle, Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierungen ist immer auch eine Form der Gesundheits- und Gewaltprävention, nicht nur für queere, sondern auch für cis-heterosexuelle Jugendliche (3). Genau hier setzte der Aktionsmonat LIKEƎVERYONE an.
Referenzen:
(1) Für einen Überblick über den Forschungsstand zur Suizidalität und weiteren psychosozialen Variablen vgl. Gesundheitsförderung Schweiz (2017). Faktenblatt 19. Geschlechtliche und sexuelle Minderheiten in Gesundheitsförderung und Prävention. Zielgruppe Kinder und Jugendliche. Gesundheitsförderung Schweiz Faktenblatt 19. Informationen zur psychosozialen Gesundheit von intergeschlechtlichen Menschen finden sich im Toolkit «Die Menschenrechte intergeschlechtlicher Menschen schützen – wie können Sie helfen?» .
(2) Vgl. Z.B. Patrick Weber & Daniel Gredig (2018): Prevalence and predictors of homophobic behavior among high school students in Switzerland, Journal of Gay & Lesbian Social Services.
(3) Vgl. Ergebnisse aus der Zürcher Langzeitstudie z-proso und Interview im Tagesanzeiger von Margit Averdijk vom 5.7.2019, verfügbar unter: www.herzsprung.ch.
Zielgruppen des Berner Aktionsmonats LIKEƎVERYONE
Die Hauptzielgruppe des Berner Aktionsmonats LIKEƎVERYONE waren die Jugendlichen der Berner Jugendtreffs des toj, die Jugendlichen des Jugendzentrums Gaskessel sowie die Jugendlichen der Jugendwohngruppen des Kompetenzzentrums Jugend und Familie Schlossmatt. Die pädagogischen Fachteams wurden durch du-bist-du.ch geschult und erhielten einen Methodenkoffer mit Anregungen für die Thematisierung von queeren Themen mit den Jugendlichen und Informationsmaterial.
Am Ende des Aktionsmonats erhielten alle Treffs, die Aktionen zum Thema durchgeführt oder Veranstaltungen des Rahmenprogramms besucht hatten, ein Zertifikat zum Aufhängen, das die Teilnahme am Berner Aktionsmonat LIKEƎVERYONE belegte.
Mit den Veranstaltungen des Rahmenprogramms wurden aber auch weitere Jugendliche sowie jungen und ältere Erwachsene, die in der Stadt Bern leben und/oder arbeiten bzw. zur Schule gehen angesprochen.
Ziele des Berner Aktionsmonats LIKEƎVERYONE
Alle Aktivitäten, die im Rahmen des Aktionsmonats stattfanden, verfolgten im Wesentlichen folgende Ziele:
- Wissensvermittlung: Auseinandersetzung mit den Themen Geschlechterrollen, Geschlechterstereotypen und geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.
- Möglichkeit der direkten Begegnung: Berührungsängste und Vorurteile gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, intergeschlechtlichen und weiteren queeren Menschen wurden abgebaut.
- Lesbische, schwule, bisexuelle, asexuell, trans, intergeschlechtliche und weitere queere Personen wurden durch die öffentliche Thematisierung gestärkt und ermutigt, ihre sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsvariante oder Familienform offen zu leben.
- Nationale und lokale Organisationen erhielten im Rahmen des Aktionsmonats die Gelegenheit, partizipativ mitzuwirken, die Sichtbarkeit von queeren Menschen in der Stadt Bern zu erhöhen, auf ihre Anliegen, Angebote und Treffpunkte aufmerksam zu machen und sich mit städtischen Stellen und Verantwortlichen zu vernetzen.
Der Aktionsmonat LIKEƎVERYONE 2018 in Zürich
Der Aktionsmonat LIKEƎVERYONE wurde von der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich in Zusammenarbeit mit der Offenen Jugendarbeit Zürich OJA und der Beratungsplattform du-bist-du.ch entwickelt und im Frühling 2018 in der Stadt Zürich erfolgreich durchgeführt. Mehr Informationen zum Aktionsmonat in Zürich und Presseberichte finden sich unter likeeveryone.ch.
Die Stadt Bern hat von den Zürcher Organisationen eine Nutzungslizenz für LIKEƎVERYONE erworben, die sie berechtigt, das Konzept des Aktionsmonats für die Stadt Bern zu übernehmen, anzupassen und zu erweitern, sowie das Logo und den Slogan «LIKEƎVERYONE» über die Dauer der Lizenz hinaus weiterzuverwenden. Die Stadt Bern bedankt sich bei den Zürcher Organisationen herzlich für die geleistete Arbeit!
Kontakt
Haben Sie Fragen zum Berner Aktionsmonat LIKEƎVERYONE? Die Fachstelle für Gleichstellung in Geschlechterfragen der Stadt Bern beantwortet diese gerne: E-Mail: gleichstellung@bern.ch / Telefon: 031 321 62 99
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