Tagung Fachstelle Gewaltprävention EKS anlässlich Prävention von Gewalt-, Extremismus- und Radikalisierungstendenzen in der Stadt Bern: Was können wir tun?
Tagung Fachstelle Gewaltprävention EKS mit Gemeinderat Reto Nause, Direktor für Sicherheit, Umwelt und Energie, anlässlich Prävention von Gewalt-, Extremismus- und Radikalisierungstendenzen in der Stadt Bern: Was können wir tun?, 23. Januar 2020©
(Es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Damen und Herren
Sehr geehrter Herr Halter
Sehr geehrter Herr Dr. Pugatsch
Sehr geehrter Herr Bernet
Sehr geehrter Herr Sonderbotschafter Husy
Werte Cristina, lieber Laurent
Ich begrüsse Sie ganz herzlich zur heutigen Tagung Radikalisierungsprävention. Es freut mich, dass ich diese dritte Tagungs-ausgabe eröffnen darf. Das Thema ist – leider – nicht weniger dringlich geworden. Umso wichtiger treffen wir heute hier zusammen.
Vor ziemlich genau einem Jahr stand ich ebenfalls hier und eröffnete mit dem Rückblick auf einige schlimme, extremistisch motivierte Gewalttaten, die ihren Ursprung, ihre Motivation in der radikalisierten Haltung von Menschen in Europa hatten.
Auch vergangenes Jahr wurde leider eine ganze Reihe solcher Taten verübt. Auch dieses Jahr kann, nein muss ich deshalb, mit einer Rückschau auf die Ereignisse 2019 beginnen.
Die Ereignisse 2019, sie sind, quasi austauschbar mit jenen von 2018.
- Um Weihnachten 2018 waren es islamistisch-motivierte Anschläge auf den Weihnachtsmarkt in Strassburg und die Messerattacke in Manchester. 2019 kam es im November zu einer Messerattacke mitten in London, auf der London Bridge. (https://www.tagesschau.de/ausland/london-messerangriff-103.html)
- Bereits Anfang letztes Jahr war der Islamische Staat (IS) militärisch besiegt. Doch was damals galt, gilt auch heute noch: Der IS ist zwar militärisch (fast) besiegt, die Ausreisen (Dschihadreisen) haben aufgehört; Aber der IS beschäftigt uns alle, als Behörden sowie als Gesellschaft, weiterhin. Das aktuelle Stichwort ist hier «IS-Rückkehrer». (https://www.nzz.ch/zuerich/is-rueckkehrer-verhaftet-elf-razzien-im-islamistischen-milieu-ld.1518604)
- Wie gehen wir mit ihnen um? Welche Möglichkeiten der Resozialisierung, der Wiedereingliederung in eine westliche, von christlichen Werten geprägte Gesellschaft bestehen?
- Hier lässt der Lebenslauf des Attentäters von London, hier lassen die Diskussionen über die Rücknahme von in syrischen Haftlagern internierten Schweizerinnen und Schweizern viele Fragen im Moment offen.
Was sich geändert hat – mit Blick beispielsweise auf Deutschland, aber nicht nur – ist die Entwicklung rund um die rechte Szene und die von ihr ausgehende Gefahr rechter Gewalt.
Während der Fokus von Präventions- und Sicherheitsbehörden aber auch die öffentliche Wahrnehmung in den letzten Jahren insbesondere auf islamistischer Radikalisierung und den sogenannten Gefährdern lag, hat das letzte Jahr eines deutlich gezeigt: Die rechte Gewalt ist im Aufwind (NDB Sicherheitsbericht; https://www.gra.ch/einschaetzung/).
- Die Anschläge im neuseeländischen Christchurch auf Moscheen im März 2019, der Mord am CDU-Abgeordneten Walter Lübcke im letzten Juni, die Skandale rund um die Sicherheits- und Militärkräfte in Deutschland über das ganze Jahr (u.a. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/bundeswehr-rechtsextremismus-rassismus-verdacht-unteroffizier) und der versuchte Anschlag auf die Synagoge und die jüdische Gemeinde in Halle im Oktober 2019 mit zwei getöteten Menschen zeigen auf grausamste Weise und unmissverständlich, welches Ausmass rechte und rechtsextrem motivierte Gewalt Anfang 2020 erreicht hat.
- Die rechtsextreme Szene beschäftigt uns auch in der Schweiz. Der Nachrichtendienst des Bundes schreibt in seinem Sicherheitsbericht von einer sehr deutlichen Zunahme an, Zitat, «Ereignissen im Bereich Rechtsextremismus» (https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-75184.html)
- So wurde beispielsweise eine aktive Szene und deren Absichten durch die Recherchen eines Ringier-Journalisten aufgedeckt:https://www.blick.ch/news/schweiz/mir-rotten-alles-us-schweizer-neonazi-gruppe-plant-gewalt-gegen-auslaender-id15317405.html
- Auch im vergangenen Jahr war ein grösseres Neo-Nazi-Konzert in der Schweiz geplant, im Wallis, was aufzeigt, dass die Szene aktiv ist, und sie ist vernetzt.
- Erst durch öffentlichen Druck, erzeugt durch die Berichterstattung eines Online-Portals, wurde das Konzert schliesslich abgesagt. Besagter Journalist, ist heute hier und Referent: Christoph Bernet (https://www.watson.ch/schweiz/wallis/863225653-neonazi-konzert-von-blood-honour-im-wallis-offenbar-abgesagt).
- Ob sich die Schweizer Szene auch Richtung konkrete Gewaltanwendung bewegt, bleibt vorderhand unklar. Es scheint aber, dass die Aufmerksamkeit, die die Medien, die Politik und weitere Kreise der rechtsextremen Szene widmen, die Durchführung von Anlässen und Neurekrutierung von Anhängerinnen und Anhängern erschweren; Wer als Rechtsextremer erkannt oder mit rechtsextrem motivierten Ereignissen in Verbindung gebracht wird, hat mit persönlichen Konsequenzen zu rechnen.
In Bern und in anderen Schweizer Städten stellt uns aber auch die linksextremistische Szene, mit ihrer teils offen gezeigten Gewaltbereitschaft, immer wieder vor grosse Herausforderungen.
Die Schweiz in der Mitte Europas ist genauso von den vielschichtigen Veränderungen in unserer Gesellschaft betroffen, wie die Länder und Orte, die ich soeben als Schauplätze von Attentaten nannte.
Diese Ereignisse lösen Verunsicherung und Angst aus. Nicht nur am eigentlichen Ort des Geschehens, sondern überall, bei allen potentiellen Zielorten terroristischer Attentate und extremistischer Gewalttaten. Sie lassen den Ruf, das Bedürfnis der Menschen nach einem starken Staat, stark gesicherten Grenzen und starken Anführern lauter werden; Schauen wir in die USA, in osteuropäische Staaten oder nach England.
Gerade der Brexit ist Zeichen dafür, dass der Glaube in multinationale Zusammenschlüsse, die Bereitschaft zu kooperativen Lösungen von Problemen abgenommen hat und eine Rückkehr zu nationalen Identitäten für viele die Lösung zu sein scheint.
Die Gesellschaften um uns herum scheinen je länger je mehr gespalten. Der Ton wird rauer, Auseinandersetzungen unversöhnlicher. Es ist das gesellschaftliche Klima, in welcher extremistische Angebote, Ideologien und Gruppierungen besonders gedeihen. Es ist ein Klima in dem es besonders einfach gelingt, Bürgerinnen und Bürger mit ihren Problemen, Unsicherheiten und Ängsten zu radikalisieren.
Umso wichtiger ist es, der angesprochenen gesellschaftlichen Polarisierung Gegensteuer zu geben.
Wie machen wir das? Sie, liebe Anwesende sind Teil der Lösung. Offen und wachsam leisten Sie Ihren Beitrag zur Prävention – mit ihrer täglichen Arbeit.
Das Verhindern von Radikalisierung egal welcher Couleur, ob rechtsextrem, linksextrem, ob islamistisch oder sonst religiös motiviert; die Unterbindung und Gegensteuer kann uns nur im Verbund gelingen.
Dieses Jahr wollen wir den Fokus der Tagung auf den gesellschaftlichen Rahmen legen, in welchem Radikalisierung passiert oder eben verhindert werden kann.
Klar ist: Die soziale und gesellschaftliche Zugehörigkeit respektive Ausgrenzung spielen eine zentrale Rolle dabei, ob sich jemand von seinen Mitmenschen verstanden und in der Gesellschaft aufgenommen oder aber ob er sich isoliert und ausgestossen fühlt. Sich also eher abwendet und anderswo Halt und Respekt sucht, ja möglicherweise in radikalen Ansichten und Inhalten, bei radikalen oder gar extremistischen Gruppierungen.
Dieser Satz stammt ebenfalls von letztem Jahr, er hat nichts von seiner Gültigkeit eingebüsst. Ich möchte sogar meinen, er beschreibt fast schon ein Naturgesetz der menschlichen Psyche.
Denn der Mensch ist nicht zur Existenz in Einsamkeit gemacht. Er dürstet in seinem Wesen nach Zugehörigkeit. Sei es in einer Partei, einer Familie, einer Glaubensgemeinschaft, einem Sportverein oder Freundeskreis; der Mensch will dazugehören.
Fühlt er sich nicht aufgehoben oder unverstanden, wird er anderweitig nach einem Sinn, nach einer Aufnahme in einer Gruppe, in einem Team suchen. Das ist es was radikale Gruppierungen so gefährlich macht, denn sie verstehen es, dieses Bedürfnis zu befriedigen, so dass sich der/die Einzelne als besonders wertvolles Mitglied fühlt.
Ein Teil der Lösung liegt deshalb im Werterhalt des Einzelnen in der Gesellschaft, der Einbindung aller. Wir müssen auf gesellschaftlicher Ebene die Ausgangslagen und Perspektiven schaffen, damit radikale Ansichten und extreme Gruppierungen keinen Nährboden und keinen Erfolg haben.
Hier kann die Stadt Bern einen wichtigen Beitrag leisten, Grundlagen bereitstellen, positive Entwicklungen forcieren, Risiken im Auge behalten, Chancen ermöglichen, antreiben. Wir machen das mit unserer Fachstelle Radikalisierung und Gewaltprävention, mit der Bündelung von Fachkräften und Expertenwissen zum Austausch, wie wir es an dieser Tagung tun. Mit konstantem Dialog.
Die Städte spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um die Etablierung einer gesellschaftlichen Haltung gegenüber extremistischen Ansichten und militanten Handlungen geht.
Die urbanen Ballungszentren, wie die Stadt Bern eines ist, sind Schmelztiegel und Begegnungsort unterschiedlichster Lebensentwürfe, Weltansichten und Ideen. Wenn Menschen aufeinandertreffen, führt dies oft zu Reibung und Konfrontation.
Städte sind zudem auch immer wieder selbst ein zentrales Ziel von extremistischen Handlungen und Attentaten.
Die Stadt Bern hat also das allergrösste Interesse, solchen Tendenzen Einhalt zu gebieten, sie früh zu erkennen und dagegen vorzugehen.
Ich erachte es als Sicherheitsdirektor der Stadt Bern als einen äusserst wichtigen Auftrag der Stadtverwaltung, dass sie ganz genau hinschaut, welche Tendenzen sich abzeichnen und im urbanen Zusammenleben äussern, die die Sicherheit und das Wohl der Bevölkerung gefährden könnten.
Am Anfang jeder Radikalisierung liegt eine Spaltung. Eine Abspaltung des «Ich» oder «Wir» von «den anderen». Ein Dualismus, der für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben schädlich ist.
Es ist klar; Menschen sind unterschiedlich, überall wo Unterschiedliches aufeinandertrifft, entsteht Reibung. Reibung und Auseinandersetzung kann konstruktiv sein. Sie darf aber in einer Gesellschaft nicht zu Ausgrenzung und Abspaltung führen, nicht zum Dualismus werden.
Um Formen der Radikalisierung früh erkennen und präventiv bekämpfen zu können, braucht es zwingend das enge Zusammenspiel der verschiedenen Akteure hier in Bern: Der städtischen Behörden, Schulen, Sportvereine, die Jugendarbeit, und viele weitere Menschen.
Die Fachstelle Radikalisierung und Gewaltprävention nimmt dabei eine wichtige Scharnierfunktion ein. Sie fungiert als Schnittstelle aller Partnerbehörden und -organisationen und verschafft Überblick auf dem Platz Bern.
Die heutige Tagung ist dabei ein wichtiges Instrument.
Sie alle haben in Ihrer alltäglichen Arbeit Berührungspunkte, zum Teil gewiss auch konkrete Problemstellungen im Themenbereich der Radikalisierung, des Extremismus und deren Prävention. Sie haben Erfahrungen und Expertise, und Sie haben Ihre eigene, ganz besondere Perspektive.
Diese Fachtagung ist Gefäss und Instrument zugleich, um zwischen den unterschiedlichen Stellen und Akteuren Wissensaustausch zu ermöglichen, Hürden und Hemmnisse ab- und Vertrauen aufzubauen. Impulse geben, die Wahrnehmung schärfen. Gemeinsam und partnerschaftlich Problemstellungen erörtern.
Hier setzen wir heute fort, was in den Tagungen zuvor Wertvolles begann.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse an diesem gerade für Bern und die Schweiz wichtigen Thema und für Ihr Engagement für ein friedliches und sicheres Zusammenleben der Menschen in Bern und weit über die Stadtgrenzen hinaus. Danke, dass Sie heute hier Ihr Wissen und Ihre Einschätzung mit uns teilen, und das auch künftig tun.
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Tagung Fachstelle Gewaltprävention EKS mit Gemeinderat Reto Nause, 23.01.2020 (PDF, 177.2 KB) |