Begrüssung von Franziska Teuscher anlässlich der 6. Breitsch-Träff Filmtage
Begrüssung von Gemeinderätin Franziska Teuscher, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, anlässlich der 6. Breitsch-Träff Filmtage «TABU IM MYTHOS EINSAMKEIT», 3. November 2022
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Filmfans
Liebe Anwesende, Freund*innen und Bekannte
Allein gelassen – gelassen allein: Der Untertitel der 6. Breitsch-Träff-Filmtage drückt die ganze Bandbreite von Alleinsein aus und hat mich sofort sehr berührt. Es gibt das Alleinsein, das gewählt ist, das Freiheit, Ruhe und Selbstbestimmung bedeutet. Und es gibt das nicht gewählte Alleinsein, das Allein-Gelassen-Sein, das drückend ist, zäh, nicht-enden-wollend, eine undurchsichtige Wand, die den Menschen vom Rest der Gesellschaft trennt und die unüberwindbar scheint.
Ja, Einsamkeit ist ein Tabu, selten sagt dir ein Mitmensch offen und direkt ins Gesicht: «Ich bin einsam, ich fühle mich einsam.» Denn es ist gleichwohl ein Eingestehen, dass man wenige Bekanntschaften hat, es nicht geschafft hat, eine Partnerschaft, Beziehungen oder ein soziales Netz aufzubauen. Oder dass man arbeits- oder strukturlos ist und sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlt. Oder dass man fremd ist.
Ich denke, wir alle kennen das Gefühl von Einsamkeit, sich allein zu fühlen, sich unverstanden zu fühlen. Wir können uns auch mitten in der Gesellschaft oder in der Familie einsam fühlen.
Es gibt jedoch Gruppen von Menschen, die potenziell stärker von Einsamkeit betroffen oder bedroht sind als andere: Ich denke beispielsweise an ältere Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sind, über weniger Tagesstruktur verfügen, nicht mehr so mobil sind, für die jeder Gang vor die Tür bedeutet, Hindernisse zu überwinden. Und deren Partnerin oder Partner, Freund*innen und Bekannte allmählich auch immer weniger mobil sind, krank werden und wegsterben, so dass das soziale Netz immer mehr zusammenschrumpft.
Ich denke an von Armut betroffene Menschen, die aufgrund von mangelnden Ressourcen weniger an der Gesellschaft teilhaben können als andere. Ich denke an Menschen, die nicht oder nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert sind, vielleicht Sozialhilfe beziehen, körperlich und/oder psychisch krank sind. Corona hat die Gruppe diese beiden Gruppen von Menschen noch grösser werden lassen.
Und ich denke an Migrant*innen und Flüchtlinge, die sich in der Aufnahmegesellschaft zuerst wieder eine Struktur und ein Netz aufbauen müssen, was wiederum erschwert wird durch mangelnde Ressourcen und sprachliche Barrieren.
Als Gemeinderätin in der Stadt Bern, die für Soziales zuständig ist, ist für mich die Einsamkeit ein grosses Thema. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass sich die Menschen in Bern nicht einsam fühlen, dass sie an der Gesellschaft teilhaben können, dass sie sich willkommen und aufgenommen fühlen, dass Sie wissen, wohin Sie sich wenden können, wenn Sie Rat, Beratung oder Hilfe brauchen, sei dies finanzieller, sozialer, psychologischer oder gesundheitlicher Art. Ich versuche daher möglichst oft über unsere Angebote zu informieren und sie auch zugänglicher zu machen und wenn möglich auszubauen.
Aber auch als Privatpersonen können wir etwas tun, damit sich unsere Mitmenschen weniger allein fühlen: Wir können uns in der Nachbarschaft engagieren, formell oder informell. Formell können wir uns zum Beispiel bei Nachbarschaft Bern vom vbg melden, um jemanden zu begleiten oder Unterstützung anzubieten. Natürlich können Sie sich dort auch melden, wenn Sie selbst Bedarf haben.
Aber Sie können auch Ihre Augen und Ohren offen halten für Menschen, denen Sie begegnen oder mit denen Sie Tür an Tür wohnen. Wenn wir mal auf der Strasse stehen bleiben und schwatzen anstatt zum nächsten Termin zu hetzen, haben wir vielleicht jemandem einen Lichtmoment geschenkt.
Ich freue mich sehr, dass diese Filmreihe im Breitsch-Träff hilft, die Einsamkeit und das Alleinsein zu thematisieren und zu enttabuisieren. Ich bin gespannt auf den Film über «Lucky» und wie dieser 90-jährige Mann uns zeigt, wie er mit dem Alleinsein und Alleinleben umgeht. Und ich bin gespannt auf die anschliessende Diskussion mit der Psychoanalytikerin Liliane Schaffner.
Ich danke den Veranstalter*innen für diesen Filmzyklus, der nun schon zum sechsten Mal stattfindet. Sie wagen sich an anspruchsvolle Themen heran und zeigen dazu unterschiedliche Bilder und Geschichten, manchmal lustige, manchmal ernsthafte, manchmal traurige, und organisieren spannende Diskussionen im Anschluss an den Film. Und dies alles auf der Basis von freiwilliger Arbeit im Quartier. Vielen Dank!
Ich wünsche uns allen einen spannenden und anregenden Abend.