Referat Franziska Teuscher anlässlich der Fachveranstaltung «Alterspolitik an der Schnittstelle von Gemeinden und Kanton»
Referat von Gemeinderätin Franziska Teuscher, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, anlässlich der Fachveranstaltung «Alterspolitik an der Schnittstelle von Gemeinden und Kanton», 17. Mai 2016©
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Loosli
Sehr geehrte Frau Gmür
Sehr geehrter Herr Hänni
Sehr geehrte Damen und Herren Grossrätinnen und Grossräte, Stadträtinnen und Stadträte und Gemeinderätinnen und Gemeinderäte
Als Gastgeberin der heutigen Veranstaltung freue ich mich sehr über Ihre Teilnahme. Vielen Dank. Wir diskutieren heute ein Thema von hoher Bedeutung und hoher Aktualität: demografische Alterung und der Altersbericht 2016 sind die Stichworte dazu. Ganz besonders freut mich die Anwesenheit meiner Gemeinderatskolleginnen und -kollegen aus Nachbarsgemeinden. Ich bin überzeugt, dass die Stärkung der gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit gerade in der Alterspolitik ein zentraler Erfolgsfaktor sein wird.
Nach dem anregenden Einleitungsreferat von Markus Loosli werde ich in meinem Beitrag versuchen, die aktuellen alterspolitischen Herausforderungen aus städtischer Sicht zu kommentieren. In einem ersten Teil geht es um grundsätzliche Einschätzungen, im zweiten Teil um Kommentare auf der Basis konkreter Beispiele.
Einsteigen möchte ich mit einem Dank an die Gesundheits- und Fürsorgedirektion bzw. das Alters- und Behindertenamt für ihr grosses Engagement in der Alterspolitik. Es ist offensichtlich, dass sich der Kanton Bern intensiv mit alterspolitischen Fragen befasst. Die im Vier- bis Fünfjahresrhythmus erscheinenden alterspolitischen Berichte ermöglichen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Alter. Sie garantieren auch eine stete Neujustierung der entsprechenden Massnahmen.
Eine zentrale Aussage im Altersbericht scheint mir die Feststellung, dass den Gemeinden und Regionen bei der Alterspolitik eine überragende Bedeutung zukommt. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Bereits im Jahr 2004 hatte der Regierungsrat festgehalten, dass die Auseinandersetzung mit konkreten alterspolitischen Anliegen in den Gemeinden verstärkt werden müsse: «Eine ausschliesslich vom Kanton gesteuerte Alterspolitik ist grundsätzlich nicht wünschenswert, weil Wesentliches von den Betagten selber zu erbringen ist und der Kanton oft nur subsidiär zu den Gemeinden handeln kann. In diesem Sinn sind in erster Linie die Gemeinden aufgerufen, bevölkerungsnahe Massnahmen zu treffen.»
Um kommunale Verantwortung für die Alterspolitik zu ermöglichen, braucht es kommunale Mitbestimmung. In den letzten Jahren ist das leider etwas in Vergessenheit geraten. Die Umsetzung der neuen Pflegefinanzierung Bern hat diesen Prozess begünstigt: Bis Ende 2012 hiess es im kantonalen Sozialhilfegesetz: «Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion stellt in Zusammenarbeit mit den Gemeinden die erforderlichen Angebote für pflegebedürftige und ältere Menschen bereit.» Heute heisst es nur noch: «Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion stellt die erforderlichen Angebote für erwachsene Menschen mit einem behinderungs- oder altersbedingten Pflege- und Betreuungsbedarf bereit.»
In anderen Worten: Die gesetzliche Verankerung der kommunalen Verantwortung für die Alterspolitik ist markant schwächer geworden. Vielleicht hat man bei dieser Anpassung zu wenig antizipiert, was sie auslösen würde (oder auslösen könnte). Jedenfalls ist es nach meinem Dafürhalten heute zentral, dass die Schnittstellen zwischen kantonaler und kommunaler Verantwortung sauber definiert werden. Dass der Handlungsbedarf auf kommunaler Ebene klar umschrieben wird. Und dass die Gemeinden bei der Weiterentwicklung der Alterspolitik in Zusammenarbeit mit dem Kanton über gut ausgebaute Mitbestimmungsrechte verfügen. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Bereich im Altersbericht 2016 etwas ausführlicher und kritischer thematisiert worden wäre.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen: Aufgrund der Konzentration der alterspolitischen Kompetenzen beim Kanton Bern kommt ihm die Rolle des Tempomachers in alterspolitischen Fragen zu. Bei der Lektüre des Altersberichts hatte ich jedoch gelegentlich den Eindruck, dass sich der Bericht auf eine Bestandsaufnahme beschränkt und den künftigen Handlungs- und Gestaltungsbedarf recht unverbindlich darstellt. Hier wünschte ich mir, dass wir beim nächsten Altersbericht zu mehr Verbindlichkeit und zu einem höheren Gestaltungsanspruch gelangen. Auch die Spannungsfelder innerhalb der kantonalen Alterspolitik müssen thematisiert sein. Mit dem Grundsatz «ambulant vor stationär» bzw. «Daheim statt Heim» sind wir ja alle einverstanden – der Grundsatz steht aber in Widerspruch zu politischen Entscheiden, die im Zuge der kantonalen Sparpolitik getroffen wurden.
Damit komme ich zum zweiten Teil. Was unternimmt die Stadt Bern, um ihre alterspolitische Verantwortung wahrzunehmen – und wo orten wir aufgrund dieses Engagements Handlungsbedarf? Im Jahr 2000 hat die Stadt Bern ihr erstes alterspolitisches Konzept beschlossen, das 2011 durch das Alterskonzept 2020 abgelöst wurde. Im Rahmen des Alterskonzepts 2020 arbeiten wir mit vierjährigen Massnahmenplänen.
Im Bereich der Information, der Koordination und der Vernetzung verfügt die Stadt Bern über ein breites Angebot:
- Im Zweijahresrhythmus findet das Altersforum statt, das sich an alle Seniorinnen und Senioren richtet und in der Regel von rund 300 Personen besucht wird;
- der Rat für Seniorinnen und Senioren ist das institutionalisierte Gremium der Mitwirkung; der Rat funktioniert als beratende Kommission des Gemeinderats;
- im Vierjahresrhythmus finden Bevölkerungsbefragungen über die Altersfreundlichkeit der Stadt Bern statt, deren Resultate dann wiederum in die Entwicklung von alterspolitischen Massnahmen einfliessen;
- eine Fachkommission sorgt für die Vernetzung unter professionellen Anbietern, während eine Internetplattform inkl. einer ergänzenden Broschüre die bestehenden Angebote für die Bevölkerung zugänglich macht;
- die heutige Diskussionsveranstaltung – Fokus Alterspolitik – entspringt dem Bestreben, den Austausch mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu verstärken.
Seit dem Jahr 2014 gehört die Stadt Bern dem Netzwerk altersfreundlicher Städte der WHO an. Mit der Mitgliedschaft geht die Verpflichtung einher, den Bedürfnissen älterer Menschen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Das machen wir beispielsweise mit einem Projekt für einen hindernisfreien öffentlichen Raum. Mit dem Aufbau quartiernaher Drehscheiben wollen wir die Nachbarschaftshilfe stärken. Gleich wie die GEF sind wir überzeugt, dass eine «caring community», eine sich sorgende und kümmernde Gesellschaft, zwingend notwendig ist, um den gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit gewachsen zu sein.
Im Rahmen unserer Arbeit stossen wir aber immer wieder auf Herausforderungen, wo auf kantonaler Ebene Handlungsbedarf besteht: Erstens die Finanzierung von betreutem Wohnen, zweitens die Finanzierung der Betreuung zu Hause und drittens Menschen mit geringem Pflege-, aber grossem Betreuungsbedarf.
Zum Wohnen mit Dienstleistungen: Im Altersbericht 2011 hatte der Regierungsrat ausgeführt, dass er Wohnangebote für alte Menschen mit einem erhöhten Sicherheits- und Betreuungsbedarf fördern will. Zu diesem Zweck beabsichtigte er, die Komponenten des «Wohnens mit Dienstleistungen» modular und einzeln zu finanzieren. Soweit, so gut. Nun wurde jedoch ab dem Jahr 2013 die Tagespauschale von 115 Franken beim «Wohnen mit Dienstleistungen» gestrichen. Seither gilt für Personen, die in einer Wohnung leben, die einem Heim angegliedert ist, dieselbe EL-Berechnung, wie wenn sie zu Hause leben würden.
Heute müssen wir feststellen, dass diese Veränderung nicht zu einer Verbesserung, sondern vielmehr zu einer Form eines Zweiklassen-Systems geführt hat: Für Menschen mit einem engen finanziellen Spielraum steht die Wohnform des «Betreuten Wohnens» heute praktisch nicht mehr zur Disposition. Hier ist der Kanton gefordert, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden nach Finanzierungsmodellen zu suchen, die diese Wohnform unabhängig von den persönlichen finanziellen Möglichkeiten der Einzelnen wieder zulässt. Das Konzept «Daheim vor Heim» funktioniert nur, wenn auch geeignete Übergangsformen zwischen «Daheim» und «Heim» zur Verfügung stehen.
Bei der Finanzierung der Betreuung zu Hause haben die Sparmassnahmen bei den Leistungen der Spitex zu einer schwierigen Lage geführt. Vielerorts hat der Verzicht auf die Subventionierung der hauswirtschaftlichen und sozialbetreuerischen Leistungen zu einem Nachfragerückgang geführt – weil viele Menschen die höheren Tarife nicht bezahlen können. Die Erwartung, dass gemeindeorganisierte Nachbarschaftshilfe den Wegfall professioneller Leistungen kompensieren könnte, erachte ich als illusorisch. Hier braucht es dringend Initiativen, um die Finanzierung der Pflege und Betreuung zuhause zu verbessern. Dazu gehören auch Dienstleistungen wie der Mahlzeitendienst und der Fahrdienst, die im Rahmen von zwei Sparpaketen per 2013 bzw. 2014 gestrichen wurden.
Neue, innovative Modelle braucht es schliesslich für Menschen mit einem geringen Pflege-, aber einem hohen Betreuungsbedarf. Ich gehe davon aus, dass wir immer mehr mit dieser Problematik konfrontiert sein werden. Das heutige Finanzierungssystem ist jedoch nicht auf diese Personengruppe ausgerichtet. Hier erhoffen wir uns vom Kanton Bern, dass er bereit ist, voranzugehen und gemeinsam mit Partnergemeinden und/oder Partnerregionen innovative neue Modelle zu erproben und die Finanzierung sicherzustellen.
Ich komme zum Fazit: Ich bin überzeugt, dass wir in Altersfragen die Schnittstellen zwischen Kanton und Gemeinden schärfen müssen. Der Kanton hat mit der Umsetzung der neuen Pflegefinanzierung eine grosse Verantwortung übernommen und muss diese auch tragen. Ich freue mich, in einer offenen Zusammenarbeit mit dem Kanton und den Nachbarsgemeinden unsere kommunale Verantwortung wahrzunehmen. Dazu wünsche ich mir die Möglichkeit, sowohl auf konzeptioneller Ebene als auch bei finanziellen Fragen über effektive Mitbestimmungs- möglichkeiten zu verfügen.
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Fachveranstaltung «Alterspolitik an der Schnittstelle von Gemeinden und Kanton», Referat Franziska Teuscher, 17.05.2016 (PDF, 100.7 KB) |