Navigieren auf Stadt Bern

Benutzerspezifische Werkzeuge

Content navigation

Referat Franziska Teuscher anlässlich der 1.Mai-Kundgebung in Lengnau

1. Mai 2018

Referat von Gemeinderätin Franziska Teuscher, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, anlässlich der 1.Mai-Kundgebung in Lengnau©

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Kolleginnen und Kollegen
Chères et chers collègues
Care compagne, cari compagni
Queridas compañeras y queridos compañeros

37 Jahre sind eine lange Zeit: Vor 37 Jahren, 1981, war ich 23 Jahre alt und studierte an der Universität Bern Biologie. Im Mai 1981 löste in Frankreich der Sozialist François Mitterrand Valéry Giscard d’Estaing als französischen Staatspräsidenten ab und im geteilten Deutschland regierten im Westen die Sozialdemokraten unter Helmut Schmidt und im Osten die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) unter ihrem Ersten Sekretär Erich Honecker.

37 Jahre sind eine sehr lange Zeit und einige der jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter euch werden die Staatsmänner, die ich gerade aufgezählt habe, nur noch dem Namen nach kennen, wenn überhaupt.

Wieso erzähle ich euch das? Vor 37 Jahren, am 14. Juni 1981, sagten 60 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten und die Mehrheit der Kantone JA zum Verfassungsgrundsatz «Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit». Das ist zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber die Realität sieht anders aus: Noch immer verdienen Frauen gut 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Bildlich gesprochen heisst das: Frauen arbeiten an 5 Tagen, werden aber nur für 4 Tage entlöhnt. Ein Teil dieses Lohnunterschieds lässt sich zwar mit objektiven Kriterien wie der Berufserfahrung, der Ausbildung oder dem Alter erklären. 7,4 Prozent dieses Lohnunterschieds sind aber «nicht erklärbar», wie es offiziell heisst. Das stimmt so nicht wirklich. Eine Begründung für den Lohnunterschied gibt es nämlich schon (wenn auch nicht eine Rechtfertigung): In Tat und Wahrheit verdienen die Frauen 7,4 Prozent oder im Schnitt 600 Franken pro Monat weniger, weil sie Frauen sind – also einfach auf Grund ihres Geschlechts. Und das, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, das ist verfassungswidrig, und zwar seit 37 Jahren.

Natürlich ist in diesen 37 Jahren auch etwas passiert: Die Lohndifferenz hat sich in den letzten zwanzig Jahren verringert. Aber sollen wir nun weitere 37 Jahre warten bis gleichwertige Arbeit tatsächlich gleich entlöhnt wird? Auf das Stimmrecht und auf die Mutterschaftsversicherung mussten wir Frauen lange warten – in der Schweiz sogar sehr lange. Nun ist es höchste Zeit, einen weiteren Gleichstellungsschritt zu tun. Die Warterei muss ein Ende haben.

Das Motto des diesjährigen 1. Mai lautet: «Lohngleichheit. Punkt. Schluss.» Wer die Debatte im Ständerat über die Revision des Gleichstellungsgesetzes Ende Februar 2018 mitverfolgt hat, der versteht die Ungeduld der Frauen. Mit dem neuen Gleichstellungsgesetz wären Unternehmungen mit mehr als 100 Angestellten dazu verpflichtet worden, «Lohngleichheitsüberprüfungen» durchzuführen und die Ergebnisse transparent zu machen. Dabei waren nicht einmal Sanktionen gegen Betriebe vorgesehen, bei denen die Lohngleichheit nicht hergestellt ist. Das ist zwar nicht die beste Möglichkeit, endlich Lohngleichheit herzustellen. Aber mehr Transparenz wäre schon mal ein Anfang.

Leider fand nicht einmal diese «milde» Massnahme eine Mehrheit im Ständerat. Die bürgerlichen Gegnerinnen und Gegner wiesen die Revision mit äusserst fadenscheinigen und eigenartigen Begründungen zurück: Die Lohngleichheitsüberprüfung sei mit einem zu grossen bürokratischen Aufwand verbunden, sagten die einen. Andere sagten: Sie seien für Lohngleichheit, aber «nicht so», «nicht jetzt» oder «nur mit freiwilligen Massnahmen». 37 Jahre nach der Aufnahme des Gleichstellungsartikels in die Verfassung, 22 Jahre nach Festschreibung des Grundsatzes «Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» im Gleichstellungsgesetz und nach fünf erfolglosen Jahren «Lohngleichheitsdialog» zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern kann man solche Argumente nur als das bezeichnen, was sie sind: Ein Affront! Ein Affront gegenüber den Frauen, ein Affront gegenüber Verfassung und Demokratie.

Die Lohngleichheit regelmässig zu überprüfen ist keine Hexerei. Das sage ich auch als Gemeinderätin der Stadt Bern mit mehr als 4200 Angestellten. In der Stadt Bern hat die Lohngleichheit einen hohen Stellenwert und wir haben diese mehrmals überprüft, letztmals im Herbst 2017. Ich bin besonders stolz über das Resultat in meiner Direktion, der Direktion für Bildung, Soziales und Sport. In meiner Direktion beträgt die Lohndifferenz exakt: 0,0 Prozent! Über alle Direktionen hinweg sind wir noch nicht ganz so weit, auch wenn wir uns gegenüber der vorletzten Überprüfung verbessert haben und im Vergleich mit anderen Städten oder Unternehmungen gut dastehen. Auf gesamtstädtischer Ebene beträgt der nicht erklärbare Lohnunterschied 1,8 Prozent. Für den Gemeinderat ist klar: Wir sind zwar auf gutem Wege, aber noch nicht dort, wo wir gerne sein möchten. Unser Ziel in Bern bleibt: 0,0 Prozent für die gesamte Stadtverwaltung.  

Die Zeit der Worte ist abgelaufen, nun wollen wir Taten sehen. Und dafür sind wir bereit zu kämpfen. Dafür gehen wir auf die Strasse. Man muss uns hören, man muss uns sehen! Deshalb haben Gewerkschaften, Frauenorganisationen und Parteien gemeinsam beschlossen, am 22. September auf dem Bundesplatz in Bern für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung zu demonstrieren. Am 22. September sagen wir auf dem Bundesplatz: Es braucht jetzt Lohngleichheit. Punkt. Schluss. Weil es für Diskriminierung in der Schweiz keinen Platz hat.

Ich freue mich, euch am 22. September in Bern anzutreffen!

Referat von Gemeinderätin Franziska Teuscher, Direktorin für Bil-dung, Soziales und Sport, anlässlich der 1.-Mai-Kundgebung in Lengnau©
Titel
1.Mai Rede Lengnau, Referat Franziska Teuscher (PDF, 124.3 KB)

Weitere Informationen.

Fusszeile