Navigieren auf Stadt Bern

Benutzerspezifische Werkzeuge

Content navigation

Rede Alec von Graffenried anlässlich der Generalversammlung von «alliance F»

6. Mai 2017

Rede von Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, anlässlich der Generalversammlung von «alliance F», 6. Mai 2017©

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen (und Herren), liebe Gäste

Ich heisse Sie herzlich in Bern willkommen – ich freue mich, dass die GV der «alliance F» in der Hauptstadt stattfindet.

Startnummer 261 – die verbotene Frau: Nur 50 Jahre ist es her, seit zum ersten Mal eine Frau am Boston Marathon mitlief. Kathrine Switzer hatte sich mit den Initialen K.V. Switzer ins Teilnehmerfeld geschmuggelt. Ihre Teilnahme war nicht erlaubt – Frauen waren bis Ende der 1960er Jahre offiziell nur zu Wettkämpfen bis 800 Meter zugelassen. Frauen seien zu schwach und zu anfällig, um einen Marathon durchzustehen – so die offizielle Erklärung. In Boston kümmerte sich der Rennleiter persönlich um die illegal mitlaufende Athletin: So rannte er ihr nach und versuchte ihr die Startnummer abzureissen. Dazu kam es allerdings nicht, weil Kathrines Freund – ein Footballspieler –  den Herrn mit einem gezielten Bodycheck von der Rennstrecke beförderte. Und so konnte Kathrine ihren Lauf beenden. Es dauerte allerdings danach noch 5 Jahre bis 1972 Frauen erstmals offiziell am Boston Marathon mitlaufen durften.

Zum Glück wurde nicht nur im Sport, sondern auch in der gesamten Gesellschaft und in der Politik in Sachen Gleichstellung in den letzten 50 Jahren enorm viel erreicht. Auch in der Schweiz. Frauen und Frauenorganisationen sind seit Jahrzehnten vorbildlich organisiert und setzen sich entsprechend erfolgreich für die Rechte und Interessen der Frauen ein. Dank den Frauenorganisationen konnten Meilensteine wie die Einführung des Frauenstimmrechts, (entgegen der göttlichen Ordnung!), die Gleichstellung in der Verfassung, das neue Eherecht, das Gleichstellungsgesetz und der Mutterschaftsurlaub erreicht werden.

Wir Männer sollten uns daran ein Beispiel nehmen! Ja, Sie hören richtig: Ich bin der Auffassung, dass auch Männer sich für ihre Rechte einsetzen sollten – gerade wenn es um die Gleichstellung geht. Das kommt Ihnen seltsam vor? Weil Männer insgesamt gesehen den Frauen gegenüber immer noch im Vorteil sind? Diese Reaktion ist bestimmt verständlich. Was allerdings dabei immer vergessen geht ist, dass viele der noch heute bestehenden Ungerechtigkeiten sowohl Frauen wie auch Männer betreffen. Sie betreffen nämlich diejenigen Männer, die sich von den alten Schemen gelöst haben. Männer, die eine Vorstellung von einer Ehe und einem Familienleben haben, die auf gleichen Rechten und Pflichten basiert. Die sich mit ihren Partnerinnen die Berufsarbeit, die Hausarbeit, die Erziehungsarbeit teilen. Die bereit sind, weniger zu arbeiten. Die zu Hause Verantwortung übernehmen.

In Gleichstellungsfragen sind heute die Männer mehr gefordert als die Frauen. Frauen haben ihre Hausaufgaben gemacht! Die Männer müssen dagegen ihre neue Rolle in einer gleichberechtigten Gesellschaft noch finden, hier liegt vieles noch im Argen.

Wahre Gleichstellung kann nur erreicht werden, wenn Frauen auf Männer und Männer auf Frauen zugehen. Frauen und Männer die grundsätzlich die gleichen Vorstellungen davon haben, wie eine moderne Gesellschaft heute funktionieren sollte. Diese Frauen und Männer müssen zusammenspannen, wenn es um die Reformation eines antiquierten Systems geht. Unser System ist vielerorts noch immer so aufgestellt wie vor 50 Jahren. Also gleich wie damals, als die Mama noch am Herd stand und der Papa den Marathon lief. Und dieses System belohnt immer noch diejenigen, die sich so verhalten, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Doch diese Zeit ist vorbei und zwar schon lange. Es ist Zeit, dass unsere Strukturen systematisch unseren heutigen Bedürfnissen angepasst werden. Weil sich die Gesellschaft grundsätzlich verändert hat, müssen sich auch die Strukturen verändern, sonst behindern wir uns selber. Weder Frauen noch Männer, die zugunsten der Familie Teilzeit arbeiten, sollen dafür bestraft werden. Weder Frauen noch Männer, die weniger im Beruf arbeiten, sollten in unserer Gesellschaft schräg angeschaut werden. Denn gute Arbeit hat nichts mit Präsenzzeit zu tun.

Aber genug über die Männer. Da Sie sich heute hier in Bern getroffen haben, möchte ich noch etwas über eine wichtige Bernerin erzählen. Eine Frau, die mit ihrem Handeln die Stadt Bern massgeblich beeinflusst und mitgestaltet hat. Diese Frau heisst Anna Seiler.

Leider ist über den Menschen Anna Seiler nicht allzu viel bekannt. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, denn Anna Seiler lebte vor 700 Jahren. Geboren wurde sie ungefähr im Jahr 1300. Gestorben ist sie im Jahr 1360. Anna Seiler war Krankenpflegerin und arbeitete im Spital zu den Predigern. Das war die Krankenstation des «Predigerklosters», des Dominikanerklosters in der Stadt Bern. Dieses Kloster stand nur etwa 50 Meter von hier entfernt. Wenn Sie später das Hotel verlassen und in die Zeughausgasse treten, können Sie rechter Hand eine Kirche sehen. Die heutige Französische Kirche war die ehemalige Klosterkirche und die Gasse dahinter wird bis heute die Predigergasse genannt.

Anna Seiler war vermögend und sie war verwitwet. Ihr Ehemann fiel wahrscheinlich der Pest, die sich Mitte des 14. Jahrhunderts über ganz Europa ausbreitete, zum Opfer. Dies ist möglicherweise der Grund dafür, dass Anna Seiler 1354 das erste öffentliche Spital der Stadt Bern – das Seilerin-Spital –  in dem «stets und ewig» unentgeltlich 13 Kranke aufgenommen und gepflegt werden sollten, stiftete. Standort dieses Spitals wurde das ehemalige Wohnhaus der Seilers. Es lag vor den Predigern, also hier in dieser Gasse.

1531 wurde das Spital ins ehemalige Dominikanerinnen-Kloster «St. Michael zur Insel» verlegt. Dieses befand sich dort, wo heute die Inselgasse ist und wo sich das heute das Büro des Gesundheitsministers Alain Berset befindet. Das Dominikanerinnen-Kloster hatte früher seinen Standort auf einer inzwischen verschwundenen Insel in der Aare. Aus dieser Zeit stammte der Name des Klosters und deshalb wurde das Spital dann später auch zum Inselspital. Dieses erste Inselspital musste 1884 dem Bundeshaus weichen und wurde deshalb an seinen heutigen Standort verlegt. Nach der Verlegung hatte das Spital im Jahr 1888 eine Kapazität von 340 Betten. Heute ist das Inselspital das grösste Spital der Schweiz und eine der bedeutendsten Universitätskliniken. Es werden fast 8000 Mitarbeitende beschäftigt und jährlich rund 40'000 stationäre Patientinnen und Patienten betreut. Den akademischen Unterricht des Spitals beanspruchen jährlich 500 Medizinstudierende.

Anna Seiler ist in Bern und besonders im Inselspital immer noch eine sehr präsente Persönlichkeit. Das Anna-Seiler-Haus bildet den Abschluss des Spital-Komplexes beim Loryplatz. Im Bau der 1950er Jahre sind die Neuropsychologie und die Urologie des Inselspitals untergebracht.

Bern ist eine Stadt mit vielen öffentlichen Brunnen. Einer davon ist der Anna-Seiler Brunnen. Diesen finden Sie auch gleich hier in der Nähe, unterhalb des Käfigturms. Leider ist die Brunnenfigur aber nicht die richtige Anna Seiler, vielmehr war es die Tugend der Barmherzigkeit, die in Anna Seiler umbenannt wurde.

Anna Seiler hat 1354 bestimmt nicht damit gerechnet, dass die 13 Krankenbetten die sie stiftete, der Grundstein für eines der grössten Spitäler und Universitätskliniken der Schweiz sein sollte.

Aber genauso ist es manchmal im Leben: eine couragierte, aber doch relativ überblickbare Aktion, kann Auswirkungen haben, die das Leben von Generationen grundsätzlich verändert. So war es 1354 bei Anna Seiler und so war es auch 1967 bei Kathrine Switzer. Beim diesjährigen Marathon in Boston startete die mittlerweile 70jährige übrigens noch einmal mit der Startnummer 261. Diesmal weder illegal noch alleine: In diesem Jahr wurde sie von 13'700 anderen Frauen begleitet! Gut, das mag uns hier in Bern nicht gross zu beeindrucken. Am Frauenlauf in Bern am 11. Juni werden wohl wieder um die 16'000 Läuferinnen am Start sein, der Frauenlauf ist der grösste Frauensportanlass der Schweiz! Kommen Sie doch auch! Die Anmeldefrist läuft noch 10 Tage bis am 17. Mai.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Tagung und bis bald, vielleicht am Frauenlauf in Bern!

Rede von Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, anlässlich der Generalversammlung von «alliance F», 6. Mai 2017©
Titel
Generalversammlung von «alliance F», Rede Alec von Graffenried, 06.05.2017 (PDF, 263.5 KB)

Weitere Informationen.

Fusszeile