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1. August 2021 | Gemeinderat, Direktionen

Stadtpräsident Alec von Graffenried zum 1. August

Die offizielle Bundesfeier ist wegen Corona leider abgesagt. Stadtpräsident von Graffenried wünscht der Bevölkerung trotzdem einen schönen 1. August. Dies ist die Rede zum jährlichen Empfang des Diplomatischen Corps in der Orangerie Elfenau.

Bild Legende:

«In der Schweiz gibt es mehr Ausland als anderswo. Daher haben wir mehr Nachbarn, und wir leben enger zusammen. Die Pflege der guten Nachbarschaft ist unsere wichtigste Aufgabe, damit wir den Herausforderungen gewachsen sind.»

Willkommen!

Im Namen des Gemeinderates der Stadt Bern heissen wir Sie alle willkommen. Wir sind glücklich, dass Sie alle hier sind und wir diesen Feiertag zusammen begehen können. Ein grosses Volksfest ist nicht möglich, aber eine kleine Feier in diesem Rahmen ist immerhin ein grosser Schritt zurück in die Normalität.

Willkommen in der Elfenau.

Ich freue mich sehr, unseren Nationalfeiertag mit Ihnen gemeinsam feiern zu dürfen. Das beste am heutigen Tag und an diesem Sommer ist, dass wir uns zuerst immer über das Wetter beklagen, und nicht mehr über die Pandemie. Das ist der beste Indikator, dass wir uns auf dem Weg zurück in die Normalität befinden!

Wir sprechen über Olympia statt über die Pandemie!

Ich weiss nicht: Haben Sie sich alle auf Olympia gefreut? Ich habe im Vorfeld – anders als in früheren Jahren - nicht so sehr auf Olympia gefiebert.

Seit den Schweizer Radsportmedaillen - Sie wissen, Velofahren ist in Bern wichtig - seit den Radsportmedaillen bin ich von Olympia begeistert! Und das Gute daran ist: jetzt sprechen wir über Olympia und Sport, statt über die Pandemie. Auch das ist ein Schritt zurück in die Normalität.

Was feiern wir eigentlich am 1. August?

Wir feiern symbolisch den Geburtstag unseres Landes. Aber die Schweiz hat keinen Geburtstag. Die Schweiz ist nicht natürlich geboren oder entstanden. Die Schweiz ist «nur» eine Idee, aber wie ich finde: eine ziemlich gute Idee.

Die Schweiz ist der Wille und das Bekenntnis, eine Nation, eine Gemeinschaft bilden zu wollen. Dieser Wille ist jedoch nicht geboren worden. Dieser Wille muss immer neu gebildet und erarbeitet werden, zum Beispiel eben jährlich am 1. August.

Willensnation Schweiz

Die Schweiz ist keine natürliche Nation, ist keine einheitliche Sprache, Geographie oder Kultur. Die Schweiz ist das, was wir gemeinsam wollen. Was wir gemeinsam wollen, ist nicht immer leicht zu verstehen. Wollen wir zu Europa gehören, und wenn ja, wie viel? Wollen wir die Klimaherausforderung bekämpfen, und wenn ja, was darf es kosten?

Dieser Wille ist nach etlichen Abstimmungen und politischen Entwicklungen nicht immer klar zu erkennen.

Wichtig ist aber der Grundkonsens, was denn die Schweiz ausmacht. Ein Freund von mir, ein Zürcher in Basel, hat das mal so definiert: Schweizer*in zu sein heisst, sich in zweierlei Hinsicht integrieren zu wollen.

1. Die Regeln befolgen, nicht betrügen. Das ist typisch schweizerisch.

2. Die Bildung befürworten, die Kinder gut ausbilden. Das ist der zweite wichtige Grundsatz, der die Schweiz ausmacht.

Jetzt sagen Sie: das ist ja gar nichts besonderes? Ja, das stimmt, aber das ist nur der Kern, da kommt natürlich noch einiges dazu. So sind wir zum Beispiel dankbar, sind wir ein Land mit einem ausgeklügelten politischen System. Unser System schenkt den Bürgerinnen und Bürgern grossartige Möglichkeiten zur Partizipation und Mitbestimmung.

Wir sind aber auch ein Land in dem ein Viertel der Bevölkerung über keinen Schweizer Pass verfügt und daher die politischen Rechte nicht wahrnehmen kann.

Wir sind auch ein Land, in dem bis zur Hälfte der Schweizer*innen ihre politischen Rechte nicht wahrnimmt. Wir sind stolz auf unsere Demokratie, wir müssen ihr aber auch Sorge tragen und auch ständig an ihr arbeiten.

Annehmen, was von aussen kommt!

Wir sind reich und privilegiert. Wir könnten der Welt mit einer gewissen Grosszügigkeit begegnen. Das tun wir selten. Viel lieber wehren wir vieles ab, was von aussen kommt. Dabei profitieren wir seit Jahrzehnten von dem, was von draussen kommt: Die Schweiz ist ein Land der Migrantinnen und

Migranten. Heute schreiben Belinda Bencic und Viktorija Golubic Schweizer Sportgeschichte. Belinda Bencics Eltern stammen aus der Slowakei, die Familie hat nach wie vor eine starke Beziehung zur Slowakei und pendelt zwischen der Slowakei und der Schweiz. Viktorija Golubic hat eine serbische Mutter und einen kroatischen Vater. Das hat Tradition im Sport in der Schweiz, auch Roger Federer hat ja eine südafrikanische Mutter.

Und fast alle Spieler des Schweizer Fussballnationalteams haben einen Migrationshintergrund. Und fast alle von ihnen sind dank ihrer Begabung selber wieder zu Migranten geworden: Sie spielen längst nicht mehr in der Schweiz, sondern in Bergamo, Liverpool oder Dortmund.

Rund die Hälfte der Einwohner*innen der Schweiz hat ausländische Wurzeln! Ohne sie ist die heutige Schweiz schlicht nicht vorstellbar. Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit ausländischen Wurzeln bereichern die Schweiz. Sie machen uns vielfältiger, kreativer und kompetitiver. Das sehen wir im Sport, das sehen wir aber auch in Wirtschaft und Kultur.

Warum ist die Schweiz so international geprägt?

Die Schweiz ist also ein international sehr stark eingebundenes und vernetztes Land. Kaum ein anderes Land auf der Erde ist so international geprägt und ausgerichtet wie die Schweiz. Warum?

Die Schweiz ist eben ein kleines Land. Aus diesem Grund reisen  wir Schweizerinnen und Schweizer so oft und so gerne ins Ausland. Wir können ja gar nicht anders: Wir steigen in den Zug und ehe wir uns versehen, sind wir im Ausland. Von Bern aus sind wir mit dem Zug in einer Stunde in Frankreich oder Deutschland und in knapp zwei Stunden in Italien. Nur eine Stunde länger dauert es, bis wir in Österreich sind. Zum Vergleich: Steige ich in Moskau in den Zug, dauert es etwa 150 Stunden bis ich in Wladiwostok ankomme. Die Schweiz ist 250 mal kleiner als Kanada und hat 175 mal weniger Einwohner*innen als China.

In der Schweiz gibt es mehr Ausland als in anderen Ländern

Rund um die Schweiz herum hat es nichts als Ausland. In der Schweiz gibt es einfach viel mehr Ausland, als zum Beispiel in den USA, Russland oder China. Es gibt viel weniger Schweiz als es USA, Russland oder China gibt. In der Schweiz gibt es flächenmässig 15 mal weniger Schweiz, als es in Frankreich Frankreich gibt, und es gibt in der Schweiz 10 mal weniger Schweizer*innen als es in Deutschland Deutsche gibt.

Nachbarschaften sind wichtig

Die Schweiz ist ein kleines Land. Daher gibt es weniger Schweiz, aber mehr Nachbarschaft und mehr Nachbarn! Wir haben viele Nachbarn, und sie wohnen sehr nahe bei uns. Ein gutes Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarstaaten ist deshalb nicht nur wünschenswert, sondern zwingend notwendig.

Ein gutes Verhältnis macht unser Leben und auch das unserer Nachbarn besser. Es ist ganz ähnlich wie in einem Mehrfamilienhaus. Einigt man sich mal auf ein paar Regeln und halten sich die Menschen im Haus daran, ist das Zusammenwohnen besser. Aus einer guten, entspannten Nachbarschaft kann eine Kraftquelle sein. Gute Nachbarschaft – im Haus, in der Strasse, im Quartier, in der Stadt, im Kanton, im Land und über die Landesgrenzen hinaus – bringt nichts als Vorteile.

Schlechte Nachbarschaft dagegen macht das Leben zur Hölle. Es lohnt sich daher, sich für eine gute Nachbarschaft einzusetzen.

Zäme geits!

Der Austausch innerhalb und ausserhalb unserer Landesgrenzen ist eine Bereicherung und eine Chance. Denn die heutigen grossen Probleme lassen sich nur lösen, wenn wir zusammenarbeiten. Egal ob es sich um den Klimawandel, um die Pandemie, Gesundheit oder um Migrationsfragen handelt, um die Nahrungsmittelproduktion, die Lösung der Wasserprobleme, um den Verkehr oder die soziale Wohlfahrt.

Nur mit Zusammenarbeit lösen wir alle unsere Herausforderungen. Statt über die gekappte Zusammenarbeit in Bildung und Forschung mit der EU zu jammern, sollten wir das Verhältnis zu unseren Nachbarn klären. Nur eine offene, kooperationsfähige Schweiz ist eine starke Schweiz. Nur gemeinsam geht’s.

Packen wir’s an!

Alec von Graffenried
Stadtpräsident

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