Kindlifresserbrunnen erhält eine neue Beschriftung
Zur Figur des Kindlifressers auf dem gleichnamigen Brunnen gibt es viele Deutungen. Diese können weder eindeutig bewiesen noch widerlegt werden. Die Beschriftung des Kindlifresserbrunnens in ihrer heutigen Form wird dieser Vielfalt an Interpretationsansätzen nicht gerecht. Sie wurde deshalb aktualisiert. Die Informationstafel erwähnt jetzt auch einen seit dem 19. Jahrhundert kursierenden antisemitischen Interpretationsansatz.
Die heutigen Beschriftungen in der Berner Altstadt gehen auf ein Projekt aus dem Jahr 2013 zurück. Die Altstadt feierte damals ihr 30-jähriges Jubiläum als UNESCO-Weltkulturerbe. Aus diesem Anlass wurden historisch besonders interessante Gebäude, Brunnen und Brücken neu beschriftet. Die Texte enthalten die wichtigsten architekturhistorischen Fakten in Deutsch, Französisch und Englisch. Ziel der Neubeschriftung war es, die wichtigsten Objekte in der Altstadt Gästen aus dem In- und Ausland näherzubringen und auch Bernerinnen und Berner für die Altstadt und ihre Geschichte zu interessieren und zu sensibilisieren. Insgesamt wurden rund 150 Tafeln montiert.
Zu den Objekten, die über einen Text verfügen, gehören die künstlerisch und stadtgeschichtlich wichtigen Brunnen, darunter auch der Kindlifresserbrunnen. Dieser wurde um 1545 von Bildhauer Hans Gieng aus Freiburg geschaffen.
Deutung in antisemitischem Kontext bisher nicht erwähnt
Zur Figur entstanden über die Jahrhunderte hinweg viele Interpretationen. Diese können weder eindeutig bewiesen noch widerlegt werden. Manche deuten den Kindlifresser als Kinderschreck, andere als Kronos oder Saturn, die ihre eigenen Kinder verschlingen. Auffällig sind Analogien zu einer Fasnachtsfigur. Ab dem 19. Jahrhundert tauchte die Auslegung auf, dass der Kindlifresser einen Christenkinder verzehrenden Juden darstelle. Diese Interpretation schafft also eine Anknüpfung an historisch belegte Phasen der Judenfeindlichkeit in Bern während des Mittelalters.
Die bisherige Beschriftung des Brunnens wird der Vielfalt an Interpretationsansätzen nicht gerecht – sie greift ausschliesslich die Deutung der Figur als Kinderschreck auf. Dieser Umstand, und insbesondere das Verschweigen einer Deutung in einem antisemitischen Kontext, hat in der Vergangenheit verschiedentlich zu Kontroversen geführt. Aus diesem Grund hat die Präsidialdirektion der Stadt Bern vor längerem eine Neuformulierung der Beschriftung veranlasst. Ziel ist es, auch kontroversen Deutungen den nötigen Raum zu geben und damit eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte zu begünstigen. Die dreisprachige Tafel beim Kindlifresserbrunnen wurde nun ersetzt.
Dokumente
Titel |
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Beilage Beschriftung Kindlifresser (PDF, 16.0 KB) |
Foto: Neue Beschriftung (JPG, 4.5 MB) |