Kritische Haltung des Gemeinderats zur kantonalen Strassenverordnung
Der Gemeinderat steht dem Vernehmlassungsentwurf zur kantonalen Strassenverordnung kritisch gegenüber. Er ist der Ansicht, dass in der neuen Strassenverordnung und im vom Grossen Rat verabschiedeten Strassengesetz wichtige städtische und kommunale Anliegen nicht berücksichtigt worden sind. Der Verordnungsentwurf verletzt das wichtige föderalistische Prinzip der gleich langen Spiesse zwischen Kanton und Gemeinden gleich mehrfach. Der Gemeinderat fordert daher verschiedene Anpassungen.
Im Juni 2008 hat der Grosse Rat des Kantons Bern das neue Strassengesetz verabschiedet, welches die Aufgaben zwischen Kanton und Gemeinden beim Bau, Betrieb und Unterhalt der öffentlichen Strassen neu regelt. Betroffen sind die verschiedenen Funktionen der öffentlichen Strassen, das Strasseneigentum, das Verkehrsmanagement, die zulässigen Fremdnutzungen, Strassenabstände, die Verantwortlichkeiten beim Bau, Betrieb und Unterhalt sowie die Verteilung der finanziellen Lasten. Damit sind für Städte mit ihrem komplexen und stark genutzten Strassennetz vitale Fragen verbunden.
Für Städte unbefriedigend
Die Stadt Bern hatte in der Vernehmlassung zum neuen Strassengesetz gemeinsam mit Thun und Biel kritisiert, dass das Gesetz den unterschiedlichen Erfordernissen von ländlichen und städtischen Gemeinden zu wenig Rechnung trage und wichtigen städtischen Anliegen nicht gerecht werde. Das nun vom Grossen Rat verabschiedete Strassengesetz nimmt diese Befürchtungen der drei grössten Berner Städte kaum auf. Immerhin wurde Bern, Biel und Thun aber verschiedentlich versichert, dass ihre Anliegen in der Ausführungsverordnung berücksichtigt würden.
Verschiedene Änderungen nötig
Der Gemeinderat stellt nun fest, dass die im März 2008 in die Vernehmlassung geschickte Verordnung zwar einzelne Punkte aufnimmt, insgesamt aber nach wie vor nicht eingegangen wird auf wichtige städtische und kommunale Anliegen. Damit wird nach Auffassung des Gemeinderats das wichtige föderalistische Prinzip der gleich langen Spiesse zwischen Kanton und Gemeinden mehrfach verletzt. Der Gemeinderat verlangt daher in seiner schriftlichen Stellungnahme folgende Anpassungen am Verordnungsentwurf (Hauptpunkte):
- Der Kanton will die partnerschaftliche Zusammenarbeit gemäss Verordnungsentwurf so regeln, dass zwar in Konfliktfällen ein Bereinigungsverfahren vorgesehen ist, bei ausbleibender Einigung jedoch die zuständige kantonale Direktion endgültig entscheiden soll (Art. 7). Diese Regelung verunmöglicht eine echte Partnerschaft; im Konfliktfall muss daher den betroffenen Gemeinden der Rechtsweg offen stehen.
- Das Prinzip, wonach wichtige Eingriffe wie die Übertragung von Strasseneigentum (Art. 6), der Erlass eines Verkehrsmanagements (Art. 9) oder das Festlegen von Versorgungsrouten (Art. 10) nur in absoluten Ausnahmefällen ohne Zustimmung der Standortgemeinden erfolgen dürfen, muss lückenlos und klar geregelt sein. Dies ist im Vernehmlassungsentwurf nicht der Fall, wodurch Verletzungen der Gemeindeautonomie drohen.
- Die vom Kanton im Einzelnen vorgeschlagenen Lösungen für eine partnerschaftliche Koordination sind - gerade mit Blick auf die Problematik von Artikel 7 - zuwenig klar und griffig. In diesem Zusammenhang bedauert der Gemeinderat insbesondere, dass eine auf Verwaltungsebene zusammen mit den städtischen Dienststellen erarbeitete detaillierte Liste mit den jeweiligen Verantwortlichkeiten für Bau, Betrieb und Unterhalt in der Verordnung keinen Niederschlag gefunden hat.
- Damit unnötiger Koordinationsaufwand verhindert und für die Bevölkerung klare und transparente Ansprechpartner definiert sind, muss in städtischen Verhältnissen eine Bewirtschaftung aus einer Hand das Ziel sein. Dazu gehört, dass auf Stadtgebiet hinsichtlich Nutzung und Gestaltung für alle Strassen gleiches Recht gelten muss, seien es nun Kantons- oder Gemeindestrassen. Der aktuelle Vernehmlassungsentwurf gewährleistet diese wichtigen Grundregeln nur teilweise. Dem Gemeindrat ist daher einerseits wichtig, dass der Kanton in städtischen Verhältnissen den Bau, Betrieb und den Unterhalt der Kantonsstrassen konsequent an die Standortgemeinde delegiert (Instrument der Leistungsvereinbarung). Anderseits muss sicher gestellt sein, dass für die Nutzung und die Gestaltung des öffentlichen Raums grundsätzlich auf allen Strassen das kommunale Recht zur Anwendung kommt.
- Unbefriedigend bleibt für den Gemeinderat, dass die neue Strassengesetzgebung keine gerechtere Verteilung der Strassenlasten mit sich bringt. Das anerkannte Ungleichgewicht, wonach Bund und Kanton – im Unterschied zu den Gemeinden - nach wie vor positive Strassenrechnungen ausweisen und die Stadt Bern zusätzlich zur defizitären Strassenrechnung nicht abgegoltene Zentrumslasten trägt, wird weder mit dem neuen Strassengesetz noch mit der Strassenverordnung beseitigt. Vielmehr verweist der Kanton auf die anstehende und noch unsichere Neuregelung des Finanz- und Lastenausgleichs FILAG 2012.