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1. Mai 2003 | Gemeinderat, Direktionen

Erklärung des Gemeinderats

In den letzten Tagen ist viel spekuliert worden; es gab Verdächtigungen, Indiskretionen, Anschuldigungen, und es gab massive Kritik am Handeln und Verhalten des Gemeinderats. Die Hauptvorwürfe lauteten:
  • Der Gemeinderat habe die öffentlichkeit nicht genügend orientiert.
  • Der Gemeinderatsentscheid vom 23. April sei sachlich nicht gerechtfertigt; jedenfalls fehle eine nachvollziehbare sachliche Begründung für die Unterstellung der Stadtpolizei unter eine andere politische Leitung.
  • Der Gemeinderat habe dem Druck der Verwaltung nachgegeben und überstürzt gehandelt.
  • Der Entscheid des Gemeinderats, Dr. Wasserfallen die politische Führung der Stadtpolizei zu entziehen, sei unrechtmässig, undemokratisch und unverhältnismässig.
  • Herr Dr. Wasserfallen sei das Opfer einer Intrige von Mitgliedern des Gemeinderats und einzelner Polizeioffiziere.

Der Gemeinderat räumt ein, dass er insbesondere nach seinem Entscheid vom 23. April 2003 nicht optimal und wohl auch zu wenig offen informiert hat. Seine Information war geprägt vom Bemühen, keine Schuldzuweisungen vorzunehmen und die Persönlichkeitsrechte der involvierten Personen zu wahren und zu schützen. Der Gemeinderat wollte aber unter allen Umständen – und will dies immer noch – vermeiden, dass in der öffentlichkeit ein Hickhack auf der persönlichen Ebene stattfindet und noch mehr Geschirr zerschlagen wird, das kaum mehr gekittet werden kann.

Zum Vorwurf, der Entscheid, Dr. Wasserfallen die politische Führung der Stadtpolizei zu entziehen, sei sachlich nicht gerechtfertigt und unverhältnismässig gewesen:

Der Gemeinderat kam am 23. April zum Schluss, dass dringendster Handlungsbedarf besteht, und zwar einerseits wegen des offensichtlich zerrütteten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Direktor DSI und dem Polizeikommando, andererseits aber auch wegen der bevorstehenden Polizeieinsätze vom Wochenende mit zwei Demonstrationen (nationale Behindertendemonstration und Friedenscamp II), dem Zwei-Tage-Marsch, dem ersten BEA-Weekend und dem bekanntlich immer konfliktträchtigen Fussball-Meisterschaftsspiel YB – Basel.

Um die damalige Situationseinschätzung des Gemeinderats zu verstehen, ist eine Rückblende nötig:

Im Dezember 2002 wurde der Polizeikommandant – auf Antrag des Polizeidirektors, der Herrn Blumer seinerzeit auch nach Bern geholt hat – vom Gemeinderat definitiv gewählt. Schon kurze Zeit später zeichnete sich ab, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kommandanten und seinem politisch Vorgesetzten wegen unterschiedlicher Auffassungen bezüglich der Polizeiarbeit, namentlich bei Einsätzen anlässlich von Demonstrationen, zunehmend schlechter wurde. Die Spannungen verschärften sich mit der ausserordentlichen Häufung von Demonstrationen in den letzten Monaten immer mehr.

Nach den Polizeieinsätzen vom 22. März (2. nationale Friedensdemonstration) und vom 29. März (1. Friedenscamp im Dalmazipärkli) kam es auf Veranlassung des Gemeinderats zu einer Aussprache zwischen dem Kommandanten und dem Vizekommandanten der Stadtpolizei sowie dem Gemeinderat. Dabei gelangte der Gemeinderat zur überzeugung, dass die Einsetzung einer gemeinderätlichen Delegation für Kundgebungen eine geeignete Massnahme sein könnte, die Spannungen zwischen dem stark geforderten Polizeikommando und seinem politischen Vorgesetzten abzubauen sowie die Suche nach einvernehmlichen Lösungen und Verhaltensweisen zu erleichtern.

Der Entscheid, eine solche Delegation als Mittlerin zwischen operativer und politischer Führung der Stadtpolizei, aber vor allem zur politischen Unterstützung des Direktors DSI in einer äusserst schwierigen Zeit einzusetzen, fiel im Gemeinderat einstimmig mit 7 zu 0.

Der Gemeinderat hat die öffentlichkeit dahingehend informiert, dass er mit der Delegation Kundgebungen die «politische Verantwortung auf mehrere Schultern» verteilen wolle – im Wissen um die spannungsgeladene Atmosphäre zwischen dem Polizeidirektor und dem Kommando, aber in der Hoffnung, dass damit alle Beteiligten das Gesicht wahren könnten und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit gestärkt würde.

Herr Dr. Kurt Wasserfallen sah dies anders. Er erklärte öffentlich, vom Gemeinderat «entmachtet» worden zu sein. Die Politik melde sich ab - was eben gerade nicht der Fall war -, und auch er als Vorgesetzter melde sich ab.

Die erhoffte Beruhigung der Situation konnte sich unter diesen Umständen nicht einstellen. Vielmehr traten die Spannungen zwischen dem Polizeikommando und dem Direktor DSI immer deutlicher zutage. Und es wurde immer offensichtlicher, wie gestört namentlich das persönliche Verhältnis zwischen dem Polizeidirektor und dem Polizeikommandanten war. Nachdem Herr Dr. Wasserfallen angekündigt hatte, er werde dem Kommandanten vor den Offizieren das Vertrauen entziehen, suchten der Stadtpräsident und der Stellvertreter des Polizeidirektors, Gemeinderat Alexander Tschäppät, das Gespräch mit dem Polizeidirektor, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Einerseits wurde versucht, Herrn Wasserfallen von weiteren äusserungen abzuhalten, welche die Situation weiter verschärfen könnten; andererseits wurde mit ihm vor dem Hintergrund der Gesamtsituation erstmals die Frage eines Direktionswechsels diskutiert. Zu einer solchen Massnahme wollte Dr. Kurt Wasserfallen unter diesen Voraussetzungen Hand bieten:

  1. Ein Direktionswechsel sei erst ein Thema, wenn der Polizeikommandant entlassen worden sei, und
  2. als Ersatzdirektion kämen für ihn nur die Direktion für Finanzen, Personal und Informatik oder die Direktion für Planung, Verkehr und Tiefbau in Frage.

Unter diesen Voraussetzungen erschien es vorerst nicht mehr angezeigt, einen solchen Lösungsansatz weiterzuverfolgen.

Nach der harten öffentlichen Reaktion des Polizeidirektors auf die Einsetzung der Gemeinderatsdelegation Kundgebungen und nach einem Rapport mit seinen Polizeioffizieren ersuchten diese am 8. April den Stadtpräsidenten um eine Unterredung. Am Gespräch nahmen seitens des Gemeinderats der Stadtpräsident, die Vizestadtpräsidentin und der Stellvertreter des Polizeidirektors (Alexander Tschäppät), seitens der Polizei acht Offiziere (ohne Kommandant) teil; zwei Polizeioffiziere fehlten wegen Ferienabwesenheit.

Der Gemeinderatsvertretung wurde dargelegt, dass sich alle Offiziere – auch die ferienabwesenden – hinter ihren Kommandanten stellten, und zwar sowohl in der Sache – d.h. in Bezug auf die strategische und taktische Führung – als auch in persönlicher Hinsicht. Die Gemeinderatsdelegation verstand dieses Bekenntnis als Ausdruck tiefer Sorge und als Hilferuf des Polizeikommandos um das Funktionieren der Stadtpolizei und damit um die Sicherheit in der Stadt Bern in einer äusserst schwierigen Situation. Dass sich die Polizeioffiziere angesichts der inzwischen bekannt gewordenen Entlassungsforderung hinter ihren Kommandanten stellten, darf ihnen nicht als Erpressung ausgelegt werden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass mit der Ablösung des Polizeikommandanten auch eine strategische und taktische Ausrichtung der Polizeiarbeit beseitigt werden sollte, die vom Gemeinderat unterstützt wird und die heute gesamtschweizerisch wegweisend ist und praktiziert wird.

Die am Gespräch vom 8. April anwesenden acht Offiziere haben weder Entscheidungen irgendwelcher Art verlangt noch personelle Forderungen gestellt. Sie zeigten allerdings auf, welche Konsequenzen eine Entlassung ihres Kommandanten haben könnte: Verlust der menschenorientierten Führungskultur in der Stadtpolizei Bern, Abnahme der überdurchschnittlich hohen Leistungsbereitschaft im Korps, Ausbreitung einer Misstrauenskultur, Gefährdung laufender Projekte, erhöhte Frustration und Demotivation, innere (und tatsächliche) Kündigungen – und als Folge die Gefahr einer weiteren Verschärfung der Personalknappheit im Polizeikorps.

Nach diesem Gespräch, von dem eine Aktennotiz erstellt wurde, war den beteiligten Gemeinderatsmitgliedern klar, dass nun für die weiteren Schritte der Gemeinderat als Ganzes gefordert war. Es erweist sich allerdings im nachhinein als Fehler, dass Herr Dr. Kurt Wasserfallen nicht sofort über das Gespräch der Gemeinderatsdelegation mit den Polizeioffizieren orientiert worden ist. Die beteiligten Mitglieder des Gemeinderats entschuldigen sich bei ihrem Kollegen Dr. Wasserfallen für diese Unterlassung, die keinesfalls böswillig geschehen ist.

Zu erklären ist die verspätete Orientierung mit den besonderen Umständen. Die Chronologie der Ereignisse zu diesem Punkt zeigt folgenden Ablauf:

An der Besprechung vom 8. April (Gespräch Offiziere / Stadtpräsident / Ursula Begert / Alexander Tschäppät) wurde eine Aktennotiz verfasst. Angesichts der Tragweite der darin festgehaltenen Sachverhalte wurde mit den Offizieren eine Bedenkfrist vereinbart, um ihnen Gelegenheit zu geben, die aus einer emotionalen Stressituation heraus gemachten Aussagen zu überdenken und allenfalls zu berichtigen.

Aufgrund von Ferienabwesenheiten und der Ostertage zog sich die Verifizierung dieser Aktennotiz allzu stark in die Länge. Dies führte dazu, dass die Aktennotiz dem Direktor DSI erst am Tag vor der Gemeinderatssitzung vom 23. April übergeben werden konnte. Sie wurde ihm durch den Stadtpräsidenten persönlich ausgehändigt, als dieser den Direktor DSI über das Gespräch mit den Offizieren orientierte und ihm gleichzeitig ankündigte, die Angelegenheit werde am nächsten Tag im Gemeinderat unter dem Traktandum «Polizeifragen im Zusammenhang mit der gemeinderätlichen Delegation 'Kundgebungen' » zur Sprache kommen müssen.

Am Vorabend der Gemeinderatssitzung vom 23. April orientierte der Stadtpräsident auch Mitglieder der Parteispitze der SP und der FDP darüber, dass der Gemeinderat am nächsten Tag das Problem Stadtpolizei besprechen werde.

Dass nie die Absicht bestand, Herrn Dr. Kurt Wasserfallen zu überrumpeln, zeigt sich darin, dass der Gemeinderat bereit gewesen wäre, den Entscheid betreffend Führung der Stadtpolizei zu vertagen. Der Direktor DSI wünschte indessen einen sofortigen Entscheid. Der Entscheid des Gemeinderats, Herrn Dr. Kurt Wasserfallen von der Führung der Stadtpolizei zu entbinden, fiel aber erst nach geführter Diskussion mit fünf Stimmen bei zwei Enthaltungen.

Grundlage für den Entscheid waren namentlich:

  • Das Drohen einer Misstrauenskultur, die zu einer Spaltung des Korps hätte führen können;
  • Verunsicherung im operativen Führungsbereich, weil gerade im Zusammenhang mit Demonstrationen klar sein muss, was gilt;
  • Vorhandene Unklarheiten bezüglich Einsatzdoktrin bei Demonstrationen, die sich als hohes Sicherheitsrisiko für unbeteiligte Passantinnen und Passanten, Demo-Teilnehmende und vor allem auch für die im Einsatz stehenden Polizeikräfte auswirkten;
  • Die Vermeidung einer Schwächung des Korps aufgrund der angespannten Situation sowie - im Falle einer Zuspitzung der Konfliktsituation - das Entstehen eines Sicherheitsrisikos;
  • Die Vermeidung einer Destabilisierung des Korps, da der Gemeinderat und die Bevölkerung als Grundlage einer stabilen Sicherheit in der Stadt Bern eine gut funktionierende Polizei brauchen.

Die Reaktionen des Direktors DSI und der öffentlichkeit sind im Nachhinein gesehen verständlich. Sie wurden vom Gemeinderat in dieser Form nicht vorausgesehen und unterschätzt. Der Gemeinderat war und ist aber heute noch der überzeugung, es sei Gefahr im Verzug gewesen, der nur mit einer raschen Klärung der Situation bezüglich politischer Führung der Polizei habe begegnet werden können. Und er ist in seiner Mehrheit auch immer noch der festen überzeugung, dass der Entscheid, die politische Verantwortung für die Stadtpolizei in andere Hände zu legen, in der Sache richtig war. Andererseits musste er inzwischen erkennen, dass der Entscheid vom 23. April in seiner kurzfristigen Umsetzung den Anschein demokratiepolitischer Fragwürdigkeit erweckt. Und der Gemeinderat räumt auch ein, dass er die Hintergründe für sein Handeln auf unzureichende Weise kommuniziert hat.

Informationsdienst der Stadt Bern

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